Intern
Institut für Musikforschung

Digitaler Rundgang: Station 3

Gleichberechtigte Schriftkulturen

Verschiedene Schriften der Welt besitzen eine besondere Ausstrahlungskraft. Auf der einen Seite stehen diese Symbolsysteme im Westen für sogenannte „Hochkulturen“ im Gegensatz zu der Mündlichkeit der abwertend als „sich in Entwicklung befindenden“ Gesellschaften. Das Vorhandensein eines Schriftsystems wertet damit jede Kultur auf. Gleichzeitig hängt die europäische Kunstmusiktradition eng mit der Entwicklung einer Notenschrift zusammen, wodurch Musik und textliches Symbolsystem eine enge Verbindung eingegangen sind. Schließlich stellen fremde Schriftzeichen ein Geheimnis für alle dar, die sie nicht entziffern können, und erzeugen dadurch Interesse. Ihre Verwendung auf Plattencovern muss aber immer einen Weg zwischen Aufmerksamkeitserregung und Vermittlung gehen. Das führt zu hybriden Darstellungen, die nicht immer kultursensibel sind.

Werden nicht-westliche Schriftformen auf den Covern als Symbole oder als grafisch-bildhafte Elemente verwendet? Wie wird gewährleistet, dass sich der Text in lateinischen Buchstaben und der in einer anderen Schriftform entsprechen? Ist es legitim, arabische Schrift oder asiatische Zeichen einfach auf westliche Notensymbole zu setzen oder in ein Fünfliniensystem zu integrieren? Werden hier nicht-westliche Musiksysteme ohne Rücksicht auf kulturelle Unterschiede in ein westliches System eingepasst? Spricht aus der Verwendung einer lateinischen Schriftform, die sich grafisch aus Bambusstäben zusammensetzt, bei einer Veröffentlichung asiatischer Musik nicht eine kulturelle Überheblichkeit?

Die Vermarktung von Weltmusik über hybride Schriftformen versucht auf einer abstrakten Ebene Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen herzustellen. Sie birgt aber die Gefahr, kulturelle Elemente miteinander zu vermischen und dabei alle Formen an das westliche System anzugleichen.

[Informationen zu den LPs]

 

Kulturelle Vermittlungsarbeit

Die Darstellungsformen von Weltmusik auf Plattencovern lassen sich auch in die umgekehrte Richtung lesen: Was wird alles nicht in den Abbildungen dargestellt?

Tatsächlich tauchen in der Sammlung des Instituts für Musikforschung keine Cover auf, in denen das Zusammenspiel von westlichen und nicht-westlichen Musiker*innen dargestellt wird. Bei allen Versuchen, dem westlichen Publikum Weltmusik schmackhaft zu machen, soll die Grenze zwischen den Kulturen bewusst erhalten bleiben. Nur wenige Cover bilden den Feldforschungsprozess westlicher Wissenschaftler*innen ab, durch den einige Aufnahmen überhaupt erst entstanden sind.

Es sind die pädagogischen Produktionen, die ernsthaft versuchen, kulturvermittelnd zu wirken oder die Thematik der Migration anzusprechen. Dort finden sich dann Informationen und Liedübersetzungen eher auf den Rück- oder den Innenseiten der Alben. Die Möglichkeiten, die Anliegen der Weltmusik-Bewegung über Plattencover zu vermarkten, haben somit ihre Grenzen. Die Aufgabe der musikwissenschaftlichen Forschung und Lehre besteht darin, diese Lücken auszugleichen.

[Informationen zu den LPs]