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Institut für Musikforschung

WAMSaSa – Tamascheq tehardent aus Gao/Mali

I. Rudolf Reichelts „Feldaufnahmen“

Tamascheq tehardent-Musik aus Gao/Mali (Mai 1961)

Die tehardent ist die dreisaitige gezupfte bootsförmige leicht taillierte Binnenspießlaute der Tuareg. Sie wird in den urbanen Zentren der Sahara von Mali bis Algerien gespielt. Binnenspießlauten sind auf dem afrikanischen Kontinent weit verbreitet und vor allem in Nordwest- und ganz Westafrika heimisch. Zu nennen sind die von den Gnawa-Musikern in Marokko und den Stambeli-Musikern in Tunesien gespielte dreisaitige gimbri, die loutar der Imazighen, die tidinit der Hassanis,  die keleli der Teda, die xalam der Wolof, die ngoni der Bamana, die koni der Mandinke und Xasonka, die moolo der Sonrai, die molo, kuntigi und garaya der Hausa, die hoddu der Fulbe u.a. Der Ursprung dieser morphologisch sehr übereinstimmenden Instrumente liegt vermutlich im alten Ägypten. Von dort aus dürfte die Binnenspießlaute zunächst den Süden, dann den Westsuden und schließlich Nordafrika erreichet haben.

Der Resonanzkorpus der tehardent wird aus einem langovalen massiven Holzblock gefertigt, der an den Längsseiten leicht tailliert ist. Die gespaltene Hälfte eines Stammabschnittes wird von der ebenen Fläche nach innen dünnwandig ausgehöhlt und mit einer nicht gegerbten Kuh- oder Ziegenhaut überzogen, die seitlich festgenagelt oder mit Schnüren gespannt wird. Der Hals besteht aus einem Rundstab. Der Stab liegt auf der Korpuswand auf und durchquert allein die Hautmembran. Damit die Konstruktion fest bleibt, durchbohrt das zugespitzte Spießende die Membran später ein zweites Mal. Der Hals wird dadurch in seiner Ausrichtung fixiert. Am unteren Ende befindet sich eine in der Membran geschnittene runde Schallöffnung. Unter der Öffnung wird die Spitze des Spießes sichtbar. Daran werden die Saiten angebunden, welche dann über einen flachen Steg bis zum anderen Halsende laufen, an dem sie mit Lederbändern festgebunden werden. Zum Stimmen lassen sich die Bänder am Hals verschieben. Die unterschiedlich dicken Saiten waren früher aus Pferdehaar, heute bestehen sie aus Nylon. Alle drei tragen Tiernamen. Die tiefste Saite heißt āhār („Löwe“), die mittlere tāzori („Hyäne“) und die höchste Saite ebāgg („Schakal“) oder āwaqqas („wildes Tier“). Die unteren beiden Saiten sind im Abstand einer Quarte oder Quinte gestimmt, der Abstand von der tiefsten zur höchsten Saite beträgt eine Oktave. Am Ende des Halses steckt ein kleiner Metallresonator (tefararaq) ein, der einen schnarrenden Klang hinzufügt. Die Membran ist im Allgemeinen nicht bemalt.

Der Spieler sitzt am Boden und hält das Instrument waagerecht auf dem rechten Oberschenkel. Mit der linken Hand greift er den Hals. Es gibt keine Bünde, die Tonhöhe wird durch Niederdrücken der Saiten auf den Hals gebildet. Der Tonumfang beträgt selten über eine Oktave, so dass Lagenwechsel nicht erforderlich sind. Am rechten Zeigefinger ist ein Plektrum (esker) aus Knochen und Leder befestigt, nur die tiefste Saite wird mit dem Daumen gezupft. Mit den anderen Fingern kann zwischendurch rhythmisch auf dem Korpus geklopft werden. Durch Fingergleiten lassen sich Glissandi erzeugen.

Männer der Handwerker-Kaste (viele von ihnen sind professionelle Musiker und griots, die aggu [Pl. aggutan] genannt werden) spielen tehardent. Einige pflegten als Hofsänger zu arbeiten, ihre adligen Mäzene zu loben und die Epen und Heldengeschichten lokaler Tuareg zu erzählen, während sie sich auf der tehardent begleiteten. Dieses Repertoire ist heute in den urbanen Zentren nicht mehr verbreitet oder beliebt, vielmehr spielt man diese Musik zur Unterhaltung, die alle Menschen aus den verschiedensten ethnischen Hintergründen gleich lieben und schätzen.

Die tehardent-Musik ist seit langer Zeit ein wesentlicher Bestandteil der musikalischen Kultur der Tuareg, vor allem in Mali (zwischen Timbuktu und Gao). Erst in den 1960er Jahren begann das Instrument und die Musik die anderen Tuareg-Regionen zu erreichen, insbesondere im Jahre 1968, als unter der Dürre leidende malische Tuareg begannen, über die Grenze nach Niger zu flüchten. Unter diesen Flüchtlingen gab es viele Handwerker-Musiker, deren Mäzene sie nicht länger fördern konnten. Um ihre Chancen zu erhöhen, versuchten sie ihr Repertoire anzupassen, um bei einer größeren multiethnischen Hörerschaft Anklang zu finden. Überfüllte Flüchtlingslager zwangen viele, ihre Wanderung in Richtung Norden fortzusetzen. 1971 begann man in Agadez tehardent-Musik zu hören; in 1974 in Tamanrasset; Seit 1976 sind malische tehardent-Musiker aktiv in fast allen urbanen Zentren der Sahara und der Sahelzone. Aufnahmen sind auch in Westafrika verbreitet.

Die große Ähnlichkeit der tehardent-Tradition der Tuareg zu den Traditionen ihrer Nachbarn erklärt ihre Beliebtheit in multikulturellen Gegenden. Hausa, Djerma, Fulani, Sonrai, Tuareg und andere westafrikanische Ethnien finden gemeinsam Gefallen an der Musik, da die Ähnlichkeiten der Stile, des Repertoires und der Aufführungspraxis, insbesondere der modernen Formen, sind größer als die Unterschiede. Das neue Genre, das allgemein als takamba bekannt ist, besteht aus begleiteten Liedern und instrumentalen Soli. Auf provokative Rhythmen reagieren sitzende männliche und weibliche Zuhörer mit wellenartiger Bewegung des Oberkörpers und der ausgetreckten Arme. Die Texte sind sehr sinnlich. Die Leute drücken ihre Gutheißung und Bewilligung durch rhapsodische usch-sch-sch-, sks-sks-Ausrufe und Lululationen aus. Die Tuareg, die noch an der traditionellen Lebensweise festhalten, sind vehement in ihrer Verachtung dieses Instruments, dieser Musik und ihrer Anhänger. Sie denunzieren diese Musik als korrupt, urbanes Produkt, also als nicht echte Tuareg-Kunst. Für sie heißt es nichts, dass das Instrument eine alte und respektable Tuareg-Tradition in Mali vertritt. Ihre Einstellung dieser Musik gegenüber zeigt die aufkommende Kluft zwischen den Konservativen und den Progressiven.

Die Tuareg, der historischen und stilistischen Unterschiede unbewusst, verweisen auf die tehardent-Musik mit dem Begriff takamba. Für die Ausübenden ist takamba jedoch eine von mehreren kompositorischen Formeln, die sie Rhythmen nennen. Jeder Rhythmus hat einen Namen, ist geeignet für einen bestimmten Kontext und weist distinktive modale und rhythmische Eigenschaften auf. Die berühmtesten sind: abakkabuk, n-djeru, yalli, ser-i, djabâ, takamba. N-jeru und yalli sind für heroische Lieder geeignet; beide haben jeweils 5-wertige Formeln, basieren aber auf verschiedenen tonalen bzw. modalen Strukturen. Abakkabuk, ser-i, djabâ und takamba passen für leichte Unterhaltung und als Begleitung zum Tanz. Sie sind 12-wertige Patterns in unterschiedlichen Konfigurationen.

Die folgenden Aufnahmen sind in Gao/Mali entstanden. Die ersten drei Tracks sind am 21. Mai 1961 bei einem gewissen Mann namens Azmi entstanden (Reichelts Ansage Track 1–3). Zu hören sind zwei tehardent-Spieler namens Omar Ag Bilbak und Salih Ag Maddaha. Von den beiden scheint Omar Ag Bilbak derjenige zu sein, der auf der Aufnahme singt und lobpreisend um sich schreit (Vgl. auch Ibrahim Sanis Kommentar dazu).

Die nächsten Stücke (Track 4–10) sind ebenfalls im Mai 1961 in Gao anlässlich eines von Reichelt selbst organisierten Abschiedsfestes aufgenommen worden. Reichelt zufolge (Beschreibung des Abschiedsfestes I und II) befanden sich folgende Personen unter den Eingeladenen: eine Maïga (diejenige, die das Essen vorbereitet hat), ein Mousa, Omar Ag Bilbak (einer der zwei tehardent-Spieler in den Tracks 1–3), ein Mädchen namens Tua, eine Fatoumata, Rauda (die junge Tamascheq-Sängerin), ein kleiner Knabe und eine Jeanette.

Es singt Omar Ag Bilbak, der sich auf der tehardent begleitet. In zwei Stücken (Track 9 und 10) wird er von Rauda unterstützt. Track 10 ist ein gutes Beispiel für den Stil takamba. Die metrisch-rhythmischen Impulse, welche der tehardent-Spieler durch das Klopfen mit den Fingern auf den Korpus und die Haut des Instruments erzeugt, überlappen sich punktuell mit den Klatschimpulsen wie folgt:

Tehardent-Impulse

Klatschimpulse

Es folgen weitere Beispiele für die tehardent-Musik, die zu einem ungenannten Zeitpunkt (vermutlich Mai 1961) von Reichelt aufgenommen wurden. Auf Track 11 ist ein ungenannter tehardent-Spieler (vermutlich Omar Ag Bilbak) zu hören, der ein Instrumentalstück aus der Tradition der Sonrai (vgl. Reichelts Ansage zu Track 11) spielt. Track 12 und 13 stehen – der Ansage Reichelts zufolge – in der Tradition der Tamascheq (vgl. Reichelts Ansage zu Track 12 und 13). Hier spielt der gleiche tehardent-Spieler und singt dabei. Auch die junge Tamascheq-Sängerin Rauda ist beteiligt. Track 14 ist ein Beispiel für den Stil der takamba, der bei den Sonrai und Tuareg gleichermaßen beliebt ist. Darin ist nochmals die Sängerin Rauda zu hören (vgl. Reichelts Ansage zu Track 14). Auffällig ist, dass der Sänger und die Sängerin nicht zusammen singen, sondern immer alternierend. Auf Track 15 ist ein Instrumentalspiel auf der tehardent zu hören, das von einem ungenannten Spieler stammt.


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