Intern
Institut für Musikforschung

WAMSaSa – Fulbe Griots und Hoddu-Musik

I. Rudolf Reichelts „Feldaufnahmen“

Fulbe griots und hoddu-Musik aus Hombori/Mali (Mai 1961 und 1970)

Die Fulbe (eine Eigenbezeichnung) werden in der anglophonen Literatur Fulani (ein Hausa-Terminus) genannt. Von den Franzosen werden sie Peul genannt. In Gambia und Sierra Leone nennt man sie Fula. Die Fulbe bilden eine der wichtigsten Bevölkerungsgruppen Westafrikas und der Sahara. Sie formen keine Rasse und sind keine ethnische Gruppe im eigentlichen Sinne. Vielmehr stellen sie eine Gruppe von Gemeinschaften dar, die abgesehen von einigen lokal-regionalen Unterschieden, welche zum Teil auf den Einfluss benachbarter Kulturen zurückzuführen sind, etliche soziale und kulturelle Charakteristika teilen. Im Allgemeinen bezeichnet man die Fulbe als nomadische Viehzüchter, deren ganzes Leben sich um ihre Rinderherden dreht, sowie als unnachgiebige Individualisten, die stolz auf ihre Herkunft und sich ihrer Originalität bewusst sind. Fast alle Fulbe sind Muslime. Einige vorislamische Kulte bestehen jedoch fort. Sie sprechen Fulfulde mit verschiedenen stark verwandten regionalen Dialekten. Ihre soziale Organisation entspricht einem pastoralen Modell, obwohl nicht alle Fulbe heute ein nomadisches Leben führen oder Vieh züchten. Sie pflegen eine patrilineale Blutverwandtschaft, bevorzugen Endogamie und Heirat ohne Besitzteilung. Ihr viel beachteter und bewunderter Sinn von Ästhetik offenbart sich nicht in einer Vorliebe materieller und langlebiger Objekte, etwa wie Masken oder Skulpturen, sondern in ihrer Wertschätzung und Wahrnehmung von körperlicher Eleganz, feiner Kleidung, schönem Schmuck, guter Musik und Redekunst.

Das soziale System der Fulbe basiert auf der Vorrangstellung der rim’be (Sg. dimo), einer aristokratischen Kaste, deren Hauptbeschäftigung die Viehzucht ist. Um zu überleben, sind die rim’be heute jedoch zusehends gezwungen, sich der Landwirtschaft zuzuwenden. Darauf folgen in der sozialen Hierarchie die nyeeny’be (Sg. nyeenyo), die (Kunst-)Handwerker. Diese Kaste schließt Weber (maabu’be sanyoobe), Schuster (sakeebe), Schmiede (wayluube) und griots ein. Die griots sind die Bewahrer der Geschichte, mündlichen Literatur und Musik ihres Volkes. Sie singen Preislieder zum Lob ihrer Auftraggeber und erzählen Geschichten mit historischen, mythischen oder satirischen Inhalten. Sie unterhalten und belehren zugleich. Sie sind in verschiedene Gruppen unterteilt: die Gruppe der aulu’be (Sg. gaulo), die schamlos schmeicheln und betteln. Sie sind traditionell nicht an Hofzirkel gebunden. Sie preisen und unterhalten die Fulbe im Allgemeinen. Sie treten vorzugsweise in Gruppen auf. Ihr Hauptinstrument ist die mbaggu-Trommel (Pl. baudi). Sie benutzen aber auch andere Idiophone, wie Kalebassenrasseln, welche mit Kieselsteinen gefüllt oder mit einem Netzwerk von Kaurischnecken umhüllt sind, oder die tummbude, eine halbierte Kalebasse, die gegen die Brust gedrückt und mit Fingerringen geschlagen wird. Eine andere Gruppe ist die der der tiapourta, die für ihre vulgären Bemerkungen, Aussprüche und ihr grobes Benehmen berühmt sind. Trotz ihrer scharfen Zunge schaffen es die tiapourta immer wieder, soziale Spannungen zu entschärfen. Die höchst angesehene Gruppe ist aber die der wammbaa’be (Sg. bammbaa’do) und maabu’be jawambe (Sg. maabo jawambe). Diese sind versiert in heiligen Mysterien, Geschichte und Genealogien. Sie waren und, bis zu einem gewissen Grade, sind noch grundsächlich Hofmusiker, die ihre Oberhäupter und andere wohlhabende Schutzpatronen lobpreisen, ihre Genealogien und die Heldtaten ihrer Vorahnen besingen und Epen aus der Geschichte der Fulbe vortragen. Während einige wammbaa’be und maabu’be bis heute im Dienste eines individuellen Schutzherren stehen, ziehen andere ständig von einem Hof zum nächsten fort.

Einige wammbaa’be und maabu’be bevorzugen die nyaanyooru, eine der goge ähnliche einsaitige Streichlaute, als Begleitinstrument (siehe Fulbe-Kororo aus Timbuktu). Das gängigste Instrument, mit dem sie sich begleiten, ist jedoch die Binnenspießlaute hoddu. Die hoddu hat einen bootförmigen Klangkorpus (hakalawal) aus Holz, dessen Oberseite mit einer Kuhhaut (nguru naagé) überzogen ist. Am Ende des Halses (lega) ist eine dünne gebogene Metallplatte angebracht. An den Rändern der Platte entlang sind kleine Ringe eingefügt (buubal). Diese geben ein Gebimmel zum Klang der gezupften Saiten (gatchi) dazu. Traditionell ist die hoddu mit drei Saiten aus Pferdehaaren (heute aus Nylon) bespannt. Die zwei Außensaiten weisen in der Regel den Abstand einer Oktave auf und die mittlere wird etwa eine Quarte über die tiefste Saite gestimmt. Erst vor kurzem hat man eine vierte Saite hinzugefügt, die beliebig nach dem jeweiligen Repertoire gestimmt wird. Am häufigsten spielt im Sitzen, auf dem Boden mit übergeschlagenen Beinen. Dabei wird das rechte Bein angehoben und das Instrument auf  den linken Fuß gestützt. Gezupft werden die Saiten mit dem Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. An den Spitzen der letzten beiden Finger werden aus Knochen (giyel) hergestellte Plektren (segene) mit Hilfe von Lederringen befestigt. Charakteristisch für den Klang der hoddu ist das simultane perkussive Schlagen mit den Fingern der rechten Hand auf die Haut. In Fulfulde wird die hoddu deshalb nicht "gespielt", sondern "geschlagen" (fide). Das Instrument darf keinesfalls von einem anderen Schlaginstrument begleitet werden. Gegriffen werden die Saiten mit dem Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger der linken Hand. Damit können auch Ornamente, Triller, Glissandi erzeugt werden.

Die Fulbe betrachten die hoddu als ein Instrument, das sprechen kann ("hoddu no haala"). Die hoddu-Musik ist eine Sprache für sich, um die viele Legenden ranken. Als ein Mittel zur Kommunikation zwischen der Männer- und Geisterwelt, ist die hoddu der Eckstein der Tradition der Fulbe und der Schlüssel zur Übermittlung von deren Wissen. Die Texte, die das hoddu-Spiel begleiten, sind eine subtile Mischung aus Lobpreisung (jambi), Dichtung (mergi) und Geschichtenerzählung (djanta), welche darauf zielen, einer Person und deren Familie zu huldigen und ihr Ansehen zu heben während einer traditionellen Zeremonie (Hochzeit, Taufe, Amtseinsetzung etc.). Die griots bereiten sich auf ihre Auftritte im Vorfeld vor, indem sie alles über die Geschichten und Genealogien der Stammesfamilien von den Stammesältesten lernen. Die Auftritte der griots sind für viele Fulbe sehr bewegend, füllen sie mit Stolz und animieren sie, eine großzügige Belohnung an die griots auszuzahlen. Die hoddu soll die Welt der Menschen mit der Welt der Geister verbinden. Die hoddu-Spieler, so glaubt man, besitzen die Fähigkeit zur Anrufung von Geistern, was sie zu munakrinkoobe macht, das heißt zu den Leuten von munkari, dem Todesengel. Der hoddu wohnen nämlich die Dschinns inne, und zwar von dem Tag an, an dem ein Schmied einen Baum gefällt hatte, um eine hoddu zu bauen, denn Bäume sind bekanntlich, wie Wasserbrennen, Flüsse, Berge, jeder verlassene Ort, einer der Lieblingsaufenthaltsorte der Dschinns. Zudem habe die hoddu-Musik eine mysteriöse Fähigkeit zur Anrufung von Geistern, da sie großenteils in der Nacht komponiert worden sei. Auch der metallische Klang der buubal soll auf die Geister sehr anziehend und verlockend wirken.

Das musikalische Universum der Fulbe ist eng verknüpft mit ihrem sozialen System; Jedes Repertoire ist mit einer bestimmten Gruppe (Adel, Sklaven oder Handwerker) assoziiert. Die hoddu-Musik wird einem Genre, das gude worbe (Stücke für Männer) heißt, zugewiesen. Sie wird für den Adel gespielt. Einige Stücke sind den jawambe, die wichtige Fulbe-Gruppe der Nachkommen eines Wassergeistes oder eines Sklaven, gewidmet. Das Repertoire besteht aus "Mottos" (janmoore) bzw. "musikalischen Themen", welche von Gemeinschaftsliedern adaptiert sind. Janmoore sind eine Art musikalischer Verkörperung oder eine Art Emblems eines Individuums. Es gibt sie nur für große Gestalten in der Geschichte und Mythologie der Fulbe.

Auf den ersten drei Tracks sind drei maabu’be zu hören. Auf Track 1 trägt einer ohne hoddu-Begleitung seinen Lobpreis vor. Die auf Track 2 und 3 zu hörenden maabu’be begleiteten sich auf der hoddu. Track 1 und 2 wurden im Mai 1961 aufgenommen, während Track 3 wahrscheinlich in der letzten Novemberwoche des Jahres 1970 aufgenommen wurde. Jedes Stück (wudere; Pl. gude) basiert auf einer bestimmten Grundlage (hinna; wörtlich: Mutter), von der sich Variationen (tschaldi; wörtlich: Zweige) entwickeln. Diese tschaldi können jedem Spieler bekannt oder neu komponiert/improvisiert sein. Die tschaldi stellen das Vokabular der musikalischen Sprache dar. Das Talent und Können eines maabo wird daran gemessen, wie er sie spielt und interpretiert. Dementsprechend hängt die Länge eines wudere von der Erfahrung eines maabo ab, und von seiner Fähigkeit, zu improvisieren. Das wudere auf Track 3 heißt n’diaru bzw. njeru. Dies soll das berühmteste wudere im Repertoire der Fulbe sein. Es ist über die Grenzen Malis bekannt. Es handelt von der Geschichte von Masina, dem ersten, im 1818 von Schekou Hamma Boubou Barry gegründeten Reich der Fulbe mit Hamdallaye als seine Hauptstadt. N’diaru ist sehr oft als musikalischer Hintergrund für Geschichten und Legenden.

Die folgenden Tracks sind am 11. Mai 1961, einem stürmischen Tag, in Hombori entstanden (vgl. Reichelts Beschreibung der Wetterlage bei der Aufnahme). Darin ist ein junger Fulbe-hoddu-Spieler zu hören, der Nassourou Hamadou heißt. Bei diesem Jungen handelt es um das gleiche "Wunderkind der Musik", das Reichelt ein bzw. einige Tage zuvor beim Aufnehmen der Jugendchorgesänge aufgefallen sein muss. Da begleitete Nassourou Hamadou auf seiner hoddu eine junge Sängerin namens Toulaye Mania (vgl. Jugendchor aus Hombori, Track 3). Reichelt muss den Jungen gebeten haben, sein Solo-Spiel aufzunehmen (vgl. Reichelts Ansage zu Track 4). Bei den Aufnahmen ist manchmal die Stimme einer jungen Frau zu hören, die nicht nur als Dolmetscherin agiert, aber auch einige Fragen von Reichelt zur gespielten Musik und deren Geschichte beantwortet (vgl. Reichelts Ansage zu Tracks 4 und 5, sowie seine Beschreibung der Musik). Bei der aufgenommen Musik handele es sich um eine sehr alte, über Generationen hinweg tradierte Musik, welche nicht nur in Hombori unter den Fulbe, sondern auch andernorts bzw. überall, z.B. unter den Sonrai, verbrietet und beliebt sei (vgl. Reichels Beschreibung der Musik und Sanis Kommentar dazu). Die hoddu (zur Beschreibung des Instruments siehe oben) wird von Reichelt wie folgt beschrieben (Reichelts Beschreibung der hoddu):

„Die Gitarre hat die Form einer lang gezogenen acht, etwa – mit dem Steg [wohl Hals] – 80 cm lang, und [ist] bespannt mit der Haut einer Kuh, einer Kuhhaut, und besteht aus drei Saiten, drei Saiten gemacht aus Pferdehaaren. Der Steg [Hals] [besteht] aus Holz, und oben, am Ende des Stegs [Hals], ist ein wie ein gebogenes Stück Blech angebracht mit Eisenringen, das diesen gongartigen, beckenartigen [wohl schellenartigen] Ton gibt. Der Boden selbst ist aus Holz gefertigt“

Ibrahim Sani nennt das Instrument molo (so heißt das Instrument auf Hausa, Sanis Muttersprache) und erklärt die Bedeutung und Funktion der darauf gespielten Musik (Ibrahim Sanis Kommentar zu Track 4 und 5).

Die Vermutung liegt sehr nah, dass es sich bei dem jungen Nassourou Hamadou um Nouhoum Hamadou Sarré, auch Nassourou genannt, handelt, den Sohn des großen hoddu-Meisters Hamadou Ali Sarré. Nassourou wurde im Jahre 1942 in Dallah geboren (etwa 20 km von Douentza in der Provinz Haïré und etwa 110 km von Hombori entfernt). Er stammt aus einer maabu’be-Familie (ursprünglich aus Sarré Yaamo), die das hoddu-Spiel von Generation zur Generation weitergab. Im Jahre 2006 lebte er, bescheiden und fast anonym, in seinem Dorf Dallah, nachdem er einst den berühmten Sonrai Gitarrist Ali Farka Touré ausgebildet und anfänglich begleitet hat. Da beide in ihrer Jugend derselben Theatertruppe von Douentza angehörten, in der sie sich einen Namen machten, nahm Ali Farka Touré sein erstes Album mit Nassourou auf, inspiriert von vielen traditionellen Themen aus dem Fulbe Repertoire, insbesondere aus Haïré. Nassourou, wohl einer der großen Meiser seiner Zeit, ist allen hoddu-Fans bekannt. Bescheiden und liebenswert habe er sein ganzes Leben der Entwicklung der musikalischen Sprache seines Instruments gewidmet. Obwohl er sehr selten singt, zeugt seine Spielweise von einer beispielslosen Gelehrsamkeit. Er meistert mit Perfektion die Geheimnisse seines Repertoires, mit einer Kombination von Rhythmen und einer Aneinanderreihung von tschaldi für jedes wudere. Während seiner Auftritte wird er von Mitgliedern seiner Familie begleitet, die den Gesangspart übernehmen (Vgl. Le hoddu peul/The Fulani Hoddu, 2006. Ocora Radio France C 560198, CD-Heft, S. 7 [Franz.] und S. 20f. [Engl.]).

Nassourou Hamadou spielt folgende Stücke für Reichelt: Pui (Track 4), Segalare bzw. seygalare (Track 5), N’diarou bzw. n’djeru (Track 6), Ewli (Track 7), Kappalaru (Track 8) und Djubu (Track 9).

Pui ist der Titel einer im gesamten westafrikanischen Sahelgebiet verbreiteten Sammlung epischer Heldenlieder. Alle Stücke des Pui werden im gleichen Takt, mit gleicher Melodie begleitet.
Segalare bzw. seygalare ist Gueladio Hamma Bodêdio Paté (Hama dem Roten) gewidmet, einem Fulbe-Kriegshäuptling, der ein Königreich in Masina hatte. Er kämpfte an der Seite von El Hadj Omar Tall. Segalare ist seine musikalische Devise, sein Emblem (janmoore). Der Legende nach wurde dieses wudere im Busch von einem djinarru duroro (Hirtengeist) zu Ehren seiner Lieblingskuh Saïgé, einer roten Kuh mit einem weißen Fleck am Bauch, gespielt. Der Geist wartete, bis der Rest der Herde zur Wasserstelle gegangen war, bevor er dieses wudere für seine Kuh auf seiner einsaitigen Laute jurkélé spielte. Eines Tages hörten die für die Königs-Herde zuständigen Hirten diese außergewöhnliche Musik. Nach ihrer Rückkehr im Dorf verbreitete sich das Gerücht schnell und als es Hamma Bodêdio erreichte, bestellte er alle griots ein und schickte in den Busch auf die Suche nach diesem wudere. Sollten sie versagen, würden sie alle hingerichtet werden. Während viele den Mut verloren, gelang es einem einzigen griot namens Kô Boureïma Kô, das Stück zu lernen. Er verschanzte sich hinter einem Ameisenhügel, nicht weit von der Wasserstelle. Der zornige Geist entdeckte ihn zwar, brachte ihn aber das wudere schließlich bei. Der mutige griot brachte segalare zurück zum König, der es als sein Emblem annahm. Zwischen 2002 und 2004 hat Nassourou Hamadou, als älterer Mann, segalare erneut eingespielt (Le hoddu peul/The Fulani Hoddu, 2006. Ocora Radio France C 560198, Track 4).

N’diarou bzw. n’djeru handelt, wie oben erwähnt, von der Geschichte von Masina.

Ewli ist den jawambe gewidmet. Ursprünglich wurde es von dem griot eines Fischers (bozo) gespielt. Irgendwann wurde es jedoch von den jawambe aufgegriffen. Heute ist es allen Machthabern gewidmet. Auch dieses Stück hat Nassourou Hamadou in den Jahren 2002–2004 erneut eingespielt (Le hoddu peul/The Fulani Hoddu, 2006. Ocora Radio France C 560198, Track 8).

Der Hintergrund von Kappalaru und Djubu muss noch ermittelt werden.


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