Maqam
In der westlichen Musik dominieren Dur- und Moll-Tonarten, die in Leitern von Ganz- und Halbtonstufen auf Grundtönen aufgebaut sind. Die Tonarten der vorderorientalischen Musik dagegen verwenden Tonvorräte und melodische Formeln, deren Intervallstufen kleiner als ein Halbton oder größer als ein Ganzton sein können. Solch eine Tonart heißt arabisch Maqam (Plural Maqamat). Charakteristisch für einen Maqam sind der Schlusston und bestimmte Zwischenstufen, die im melodischen Verlauf angesteuert werden. Ein Maqam wird aus sogenannten Ajnas (Singular Jins) geformt: Dies sind drei- bis fünftönige Gruppen mit jeweils eigener Intervallstruktur, die dem Maqam seinen eigenen melodischen Verlauf (Sayr) und seine eigene Stimmung verleihen. Die theoretische Abstraktion eines Maqams als Tonleiter – zum Zweck der Darstellung des Gesamtumfangs – hat daher etwas Irreführendes. Einen Maqam prägt zum einen die Ansteuerung von Hauptstufe und Dominantstufe (Ghammaz), welche nicht immer auf der Quinte über dem Grundton liegt, sondern bei bestimmten Maqamat (z.B. bei Bayati oder Awj) eine Quarte oder Terz entfernt sein kann. Zum anderen gibt es charakteristische Melodiewendungen, an denen der geübte Hörer den Maqam gleich erkennen kann.
Es gibt eine große Zahl von Maqamat. Sie können durch Modulation miteinander kombiniert werden. Aus solchen Kombinationen entstehen neue Maqamat. In Band V seiner Abhandlung La Musique Arabe hat Rodolphe d’Erlanger mit Hilfe des syrischen Musikers Ali Darwish 119 Maqamat versammelt, dazu kommen in einem Anhang durch Information des tunesischen Musikers Ahmed El-Wafi noch 29 Modi aus der hispano-arabischen Tradition. Wegen der großen Anzahl von Tonarten hat die arabische Musiktheorie eine Klassifikation vorgenommen. Sie kennt acht Maqamat, denen die restlichen beigeordnet werden: Bayati, Kurdi, Hijaz, Saba, Ağam, Nahawand, Rast und Segah. Diese Klassifikation gilt nur für arabische Musik. In den türkischen, kurdischen und iranischen Musikkulturen gibt es, trotz Überschneidungen, ganz andere eigenständige Maqam-Systeme.
Charakteristisch für den Maqam Rast sind die um etwa einen Viertelton erniedrigte Terz und die ebenso erniedrigte Septime. Die Notate d’Erlangers beziffern die inneren Intervallstrukturen der Ajnas nach Vierteltonstufen. Besonders interessant dürften für westliche Ohren Tonarten klingen, deren Grundton im Verhältnis zu den restlichen Tönen der Skala geringfügig ‚zu hoch‘ scheint, wie etwa bei Maqam Awj. Eine grelle Farbe haben in dieser Hinsicht die Maqamat der Segah-Gruppe. Maqam Bayati erhält seinen spezifischen Charakter durch die zwei Dreivierteltonschritte über dem Grundton und dem zweiten Jins auf der Kleinterz darüber. In der absteigenden Phase kann Jins II höher liegen.