Intern
Institut für Musikforschung

Notat Kantemir

Das Notationsverfahren des Dimitrie Kantemir (ca. 1710)

Kantemiroğlu stellt der Erläuterung seiner Notenzeichen eine generelle Einführung der perde (Tonstufen) des türkischen Tonsystems und deren Bezeichnungen voran. Er veranschaulicht seine theoretischen Ausführungen durch eine stilisierte Darstellung der Langhalslaute tanbûr, deren Hals er der Bundteilung folgend mit den von ihm verwendeten Tonsymbolen beschriftet: (Abb. rechts).

Auf diese Weise gibt er einen Vorrat von insgesamt 33 perde, die ausreichend sind, sämtliche makame zu beschreiben und mit denen jegliche melodische Zusammenhänge darstellbar sind. Bereits vor dieser Einteilung hat Kantemiroğlu den Tonnamen seine Notationszeichen zugeordnet, so daß im Prinzip die erste Komponente seines Notierungsverfahren, die Fixierung von Tonhöhen, schon auf der ersten Seite des Kitâb eingeführt und anhand der tanbur-Graphik, welche die Beziehungen zwischen den Tonbezeichnungen und den korrespondierenden Griffen herstellt, ausreichend erläutert ist, um von einem Musiker, der das Instrument beherrscht, verstanden und angewendet zu werden.

Kantemiroğlu teilt im weiteren die genannten Töne in vollkommene und unvollkommene. Zu den vollkommenen zählt er yegâh, aşîrân, ırak, rast, dügâh, segâh, çârgâh, nevâ, hüseynî, eviç, gerdâniye, muhayyer, tîz segâh, tîz çârgâh, tîz nevâ und tîz hüseynî. Unvollkommen hingegen sind acemaşirân, rehâvî, zîrgüle, nihâvend, buselîk, sabâ, [uzzal], beyâtî, hisâr, acem, mâhûr, şehnâz, sünbüle, tîz buselîk, tîz sabâ, tîz uzzal und tîz beyâtî. Die Gruppe der vollkommenen perde entspricht, ırak bzw. eviç ausgenommen, jenen Tönen, die das Gerüst des Notationssystems Rauf Yektas bilden und ohne Vorzeichnung bleiben. Die unvollkommenen perde bilden erwartungsgemäß einen Teil der alterierten Tonstufen, denen Yekta noch weitere zuordnet, deren Verwendung Kantemiroğlu nicht notwendig erscheint. Da in den Tonsystemen der beiden Theoretiker dessen ungeachtet grundsätzlich ebenso weitgehende Übereinstimmung herrscht wie in deren Herleitung – auch Yekta erläutert sein Notierungsverfahren unter anderem anhand des tanbur-Halses –, ist die kantemiroğlu-notası unproblematisch in dessen Notationssystem transkribierbar.

Während Kantemiroğlu die Tonhöhennotierung nach nur fünf Seiten umfassend abgehandelt hat, benötigt er zur Erläuterung der Rhythmisierung einer melodischen Linie mit etwa elf Seiten mehr als den doppelten Raum. Bereits der Umfang dieses Kapitels deutet darauf hin, daß im Bereich der Fixierung von Tondauern – frühere orientalische Notationsformen eigneten sich hierzu, wie oben erwähnt, nur sehr unzureichend – die eigentliche Innovation der Notenschrift Kantemiroğlus liegt.
Nachdem auf den Seiten sechs bis neun des Kitâb in mehreren Abschnitten das beständige (vezn-i sübûtî) und das wechselnde Zeitmaß (vezn-i `ârızî), die allgemeine (âgâze-i küllîye) und die spezielle 'Melodiestimme' (âgâze-i mahsûse) sowie das große (vezn-i kebîr), das kleine (vezn-i sagîr) und das sehr kleine Zeitmaß (vezn-i asgarü's-sagîr) abgehandelt werden, faßt er schließlich das besprochene kurz zusammen und erwähnt erstmals die notationstechnische Umsetzung der Rhythmisierung einer melodischen Linie: 


»Die Eigenschaft der Zahlen des [Tondauer-] Maßes in der Musik: Wie oben erläutert, ist das [Tondauer-] Maß der Musik einem Augenblick der Zeit ähnlich. Die Melodiestimme verbleibt auf einem Ton mit einer Tonlängenangabe, die durch ein unter dem Buchstaben [, der die Tonhöhe festhält,] hinzugesetztes Zahlzeichen ausgedrückt ist, wie groß oder klein das Zeitmaß auch sei [...].« 


Im weiteren konkretisiert Kantemiroğlu die semantische Besetzung der Ziffern. Das beständige Zeitmaß (vezn-i sübûtî) erhält, durch die Zahl eins ausgedrückt, die Tondauer einer Zähleinheit. Aus dem vezn-i sübûtî können durch Augmentation um die Faktoren zwei, drei, vier, sechs oder acht alle Tondauern des wechselnden Zeitmaßes (vezn-i `ârızî), dargestellt durch die arabischen Ziffern zwei, drei, vier, sechs und acht, entwickelt werden. Ist es notwendig, das vezn-i sübûtî auf zwei Noten zu verteilen, also um den Faktor zwei zu diminuieren, so notiert man zwei Tonbuchstaben über einer Tondauerzahl. Die drei Zeitmaße bezeichnen die Dauer eines vezn-i sübûtî und der daraus abgeleiteten vezn-i `ârızî. Im großen Zeitmaß (vezn-i kebîr) finden nur die Tondauern eins, zwei, drei und vier Verwendung; das kleine (vezn-i sagîr) wie auch der sehr kleine Zeitmaß (vezn-i asgarü's-sagîr) verfügen über den gesamten Tonlängenvorrat, der durch die Ziffern eins bis acht darstellbar ist. Die drei vezn-i unterscheiden sich in der absoluten Länge des vezn-i sübûtî, die im vezn-i sagîr nur die Hälfte der Dauer derselben Ziffer im vezn-i kebîr beträgt. Die absolute Länge eines vezn-i sübûtî beträgt im vezn-i asgarü's-sagîr den vierten Teil der entsprechenden Tondauer im vezn-i kebîr.

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