Intern
Institut für Musikforschung

Elci Pesrevi 3

Das »Elçi Peşrevi«, İsak, in der Handschrift Ms.or.2 (Privatbesitz)

Das Notat, die späteste bekannte Aufzeichnung des Irak Elçi Peşrevi, stammt aus einer Zeit, in der die türkische Kunstmusikkultur eine Reihe von Prozessen durchlaufen hattte, die bereits an anderer Stelle ausführlich besprochen wurden und hier zusammengefaßt werden können.

Das zentale Ereignis war der Beginn der Förderung europäischer Musik unter Sultan Mahmud II. und seinen Nachfolgern, das einen in seiner Bedeutung kaum zu zu überschätzenden Prestigeverlust der traditionellen türkischen Kunstmusik zur Folge hatte. Mit der Verbreitung westlicher Musik verloren die Ensembles der ince sâz darüberhinaus langsam ihr bisheriges Musizierumfeld, was eine Abwanderung der Musiker in die in der Osmanischen Metropole um die Mitte des 19. Jahrhunderts neu entstehenden Kasinos und Nachtklubs und somit vom privaten in den öffentlichen Raum nach sich zog. In der dort praktizierten gehobenen Unterhaltungsmusik vollzog sich, auch dies ist bekannt, ein fundamentaler Gattungswandel, der die Etablierung der liedhaften Gattung şarkı, die nie Bestandteil des älteren Aufführungszyklus' fasıl war, begünstigte.

Bislang ist davon ausgegangen worden, daß die wichtigste Voraussetzung des Wandels des Vokalrepertoires mit den textlichen Inhalten der şarkı, die »much lighter in tone, more easily relatable to an external reality, less concerned with intellectualizing and more with pleasant vignettes from life« gehalten sind als etwa die beste-ler. Mit Blick auf die den şarkı zugrundegelegten usul-ler läßt sich das oben zitierte Differenzierungskriterium wesentlich erweitern: şarkı verwenden, wie dies etwa die aus dem späten 19. Jahrhundert stammende Handschrift Ms.or.2 belegt, die im Umfeld der gehobenen Unterhaltungsmusik entstanden ist, vorwiegend die usul-ler sofyân (2-zeitig), düyek (4-zeitig), çifte sofyân (4-zeitig), sengîn semâî (6-zeitig), yürük semâî (6-zeitig), devri hindî (7-zeitig), katakofti (8-zeitig), aksak (9-zeitig), ağır aksak (9-zeitig) und curcuna (10-zeitig). Neben der deutlichen Vorliebe für asymmetrische rhythmische Strukturen ist das gänzliche Fehlen längerer usul-ler augenfällig. Die Verwendung kurzer rhythmischer Schlagmuster bei der Komposition von şarkı, die übrigens auch die Rhythmisierung der melodischen Linie in unterschiedlichen Graden beeinflussen, korrespondiert mit einer – verglichen etwa mit den beste-ler – nicht unwesentlichen Verkürzung der musikalischen Form und damit der zeitlichen Gesamtdauer bei der Aufführung. Zusammen mit den Inhalten der Texte machen die oben aufgeführten Kompositionsmerkmale das şarkı zu einer Gattung, die vor dem Hintergrund des geänderten Aufführungskontextes leicht die älteren Formen verdrängen konnte; neben dem offenbaren Unterhaltungswert der Stücke war auch deren musikalische Zeitstruktur dem Musizierrahmen angepaßt.

Es ist interessant festzustellen, daß die späteste Aufzeichnung des Irak Elçi Peşrevi alle Kriterien aufweist, die charakteristisch für die şarkı und damit für den Bereich der gehobenen Unterhaltungsmusik sind: es läuft über einem kurzen usul ab, ist rhythmisch gestrafft und formal gegenüber dem Notat in Y.211/9 stark verkürzt, also den übergeordneten musikalischen Zeitabläufen der Unterhaltungsmusik angeglichen. Bereits diese Eigenschaften des Notats lassen vermuten, daß das peşrev hier in einer Fassung vorliegt, wie sie in den Kasinos und Nachtklubs aufgeführt worden sein könnte. Die Zusammensetzung der Instrumentalhandschrift, die das peşrev überliefert, stützt diese These, denn bereits die deutliche Dominanz von Werken des berühmten armenischen Unterhaltungsmusikers Kemanî Tatyos Efendi vergegenwärtigt den Entstehungskontext des Manuskriptes in ausreichender Weise. Demnach ist die hier vorliegende Fassung des Irak Elçi Peşrevi eine – ob durch einen einzelnen Musiker oder durch die Überlieferung sei dahingestellt – bewußte Bearbeitung einer Vorlage aus der höfischen ince sâz für die Unterhaltungsmusik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, ohne die das Werk im gewandelten Musikleben İstanbuls kaum mehr aufführbar gewesen wäre.

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