Italien-Exkursion (2019)
(Nicht nur) auf den Spuren Vincenzo Galileis
Giovanni Gherardi da Prato schildert in seinem Paradiso degli Alberti, wie Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftler sich in einer florentinischen Villa treffen und beim verzaubernden Klang von Landinis Orgelspiel diskutieren. Bei der Exkursion nach Florenz vom 6. bis 11. Oktober 2019 machten sich Studentinnen und Studenten der Musikwissenschaft (Universität Würzburg) und der Gitarre (Hochschule für Musik Würzburg) unter der Leitung von Dr. Hansjörg Ewert und Prof. Jürgen Ruck auf, um solchen (und späteren) glanzvollen Zeiten nachzuspüren – eine Reise zu prunkvollen Palästen, mit bannender, mikrotonaler Musik im Handgepäck und mit einem dramatischen Sonnenaufgang bei der Abreise frühmorgens in Deutschland, der den angemessenen Auftakt für eine bunte Studienfahrt bildete.
Mit Mantua, Ferrara und Florenz standen drei Städte auf dem Plan, in denen jeweils eine große Familie weit mehr als einen Fußabdruck hinterließ: Die Familien Gonzaga, d’Este und Medici gestalteten über Jahrhunderte maßgeblich das kulturelle Leben in den jeweiligen Provinzen. Bei Führungen durch die drei Städte und deren Paläste offenbarte sich für die Exkursionsteilnehmer die unglaubliche Rolle von Repräsentation in der Agenda der Familien, zu deren Symptomen die Vielzahl und bauliche Gestaltung der Prachtbauten wie dem „Palast der Diamanten“ in Ferrara gehören. Aus musikalischer Perspektive zeigt sich diese Mentalität im „Einkaufen“ ganz großer Namen: Monteverdi erhielt die Einladung nach Mantua, Josquin nach Ferrara, wo er dem Herzog die Hexachord-Messe Ercole Dux Ferrariae schrieb, und Isaac wurde für eine Organistenstelle in Florenz gewonnen. In Mantua bestaunte die Würzburger Gruppe den Palazzo del Te, in dem man Monteverdis Orfeo an den Wänden zu begegnen scheint, und in Florenz den Palazzo Pitti, wo mit La pellegrina anlässlich der Hochzeit von Ferdinando I. de’ Medici mit Christine von Lothringen 1589 die wohl aufwendigste Intermedien-Produnktion der Geschichte stattfand – die Aufzählung könnte man noch lange fortführen. Dementsprechend stellten sich der Besuch der Uffizien, die Stadtführung durch Florenz und der Besuch der Biblioteca Medicea Laurenziana als kaum gänzlich zu fassende Referenznennung heraus; die Namen Michelangelo, Boccaccio, Galileo und Landini fielen im Vorbeigehen. Nachdem einige Musikwissenschaftler am ersten Abend in Ferrara schon beim Anblick verschiedener Abbildungen von Choralhandschriften auf der Baustellenverdeckung (!) am Dom beinahe das Abendessen vergessen hatten, waren diese Begegnungen eine atemberaubende Steigerung.
Hintergrund der Exkursion war ein Seminar im vergangen Sommersemester, in dem sich ein Großteil der Teilnehmer mit dem Lautenisten und Musiktheoretiker Vincenzo Galilei, dem Vater von Galileo Galilei, befasst hatten. Ein Höhepunkt der Reise war somit der Besuch der Biblioteca Riccardiana, in der die Würzburger Gruppe zwei originale Exemplare des Fronimo-Dialogs ansehen konnten. Vor allem der Anhang war für die Seminarteilnehmer von Interesse, in dem sich handschriftliche Eintragungen von Aria-Modellen aus der Hand Galileis finden. Bemerkenswert stellte sich auch der Vergleich der Titelblätter der beiden Auflagen aus den Jahren 1568 und 1584 heraus, der belegt, wie Galilei in der späteren Version nicht mehr einfach nur den Anspruch erhebt, Techniken der Intavolierung für Laute darzulegen, sondern sich mit seiner Herangehensweise auf die gesamte Instrumentalmusik bezieht. Somit zeigt sich mit der Anpassung des Fronimo-Dialogs symptomatisch das sich entwickelnde Verständnis von Instrumentalmusik und zugleich hin zum Generalbass. Vater und Sohn Galilei schienen derweil omnipräsent in Florenz zu sein: Bei der Erkundung des Viertels „Oltrarno“ stieß die Würzburger Gruppe eher zufällig auf ein Haus, in dem Galileo Beobachtungen mit dem Teleskop durchgeführt haben soll, und in den Uffizien entdeckte man bei einem zufälligen Blick nach oben Vincenzo in der Schar der musikalischen Kinder von Florenz.
Galilei war zudem einer von zwei Schwerpunkten der gemeinsamen Studientage, die die Würzburger Studierenden auf Einladung des Konservatoriums Luigi Cherubini unter maßgeblichem Einsatz des Dozenten für Gitarre, Francesco Cuoghi, zusammen mit Kommilitonen und Dozenten aus Florenz verbrachten. In der Bibliothek des Konservatoriums herrscht eine Kontrastwelt, abgeschottet von den Touristenströmen zur Galleria dell’Accademie draußen – eine Situation der Innensicht, die im Fronimo-Dialog genutzt wird, um über Kontrapunkt zu reden („Now close the door, so that the sun won’t annoy us“). Die Rolle der verschiedenen Kontexte, in denen die Beispiele im Fronimo-Dialog stehen, arbeite Hansjörg Ewert in seinem Workshop heraus und spürte mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Beispiel von Io mi son giovinetta offenbaren und verborgenen Subtexten nach. Dr. Nattacha Fabbri vom Museo Galilei betonte die Rolle von Galileis Stimmungssystemen und deren Rezeption als wichtigen Ausgangspunkt für die späteren Diskussionen um Stimmung und Intonation und schuf damit die Verknüpfung zum zweiten Schwerpunkt der Studientage, in dem sich mehrere Vorträge mit Mikrotonalität auf der Gitarre befassten, wobei etwa Jürgen Ruck systematisch deren Geschichte und Möglichkeiten darlegte. Die Gitarrenklasse der Hochschule gestaltete zu diesem Themenbereich zudem ein begeisterndes Konzert mit Solowerken von Murail, Berio und Ferneyhough sowie Ensemblekompositionen von Onur Türkmen, Enis Gümüs und Joachim Schneider, der selbst vor Ort in spannender Weise Rede und Antwort zu seinem Werk stand.
Trotz der großen Menge an anregenden Eindrücken war am Ende der Zeit in der Toskana doch klar, dass man dort gerade mal einen kleinen Teil des musikgeschichtlich Relevanten absolviert hatte. Es bleibt also zu hoffen, dass einmal wieder eine Studienreise gen Süden führt. Florenz tat am letzten Abend jedenfalls sein Bestes, um sich in farbenfroher Erinnerung zu erhalten und verabschiedete sich mit einem schon beinahe kitschigen Sonnenuntergang bei gleichzeitigem Mondaufgang über dem Ponte vecchio.
Lucia Swientek
(Fotos: Hansjörg Ewert, Lucia Swientek)