Basel-Koop Projektseminar Caccini (2012)
Projektseminar und Exkursion im Rahmen der Kooperation mit der Schola Cantorum Basiliensis
Rekonstruktion der Barockoper La Liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina von Francesca Caccini
Im Rahmen des Projektseminars zur Rekonstruktion und Aufführung der Oper La Liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina von Francesca Caccini fand eine Exkursion nach Basel zur Premiere der Aufführung dieser Oper vom 10. bis 12. Mai 2012 statt. Die Aufführung wurde von der Opernklasse der Schola Cantorum Basiliensis durchgeführt. Unter der Projektleitung von Christine Fischer und der Regie von Manfred Weiss sollte die Oper im Rahmen des Forschungsprojekts Gender Transgressionen – historische Aufführungspraxis im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit unter historisch informierten Bedingungen inszeniert werden.
Die Kooperation des Instituts für Musikforschung mit der Schola Cantorum Basiliensis ermöglichte einigen Studenten der Universität Würzburg, durch den Einsatz von Herrn Ewert, die Teilnahme an einem von Frau Fischer aus Basel geleiteten Seminar zu diesem Thema und an einer Exkursion nach Basel. Eine solche Exkursion ermöglicht Einblicke in die praktische Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in künstlerische Arbeit und erschließt den Studenten mögliche Arbeits- und Berufsperspektiven. An der Exkursion konnten Studenten aller Fachsemester teilnehmen, die an der Thematik Interesse zeigten. So konnten sich Gleichgesinnte schon auf der jeweils 7-stündigen Zugfahrt austauschen und während der drei Tage besser kennenlernen.
Das Seminar in Vorbereitung auf die Exkursion gliederte sich in verschiedene Einheiten: Zunächst wurden allgemeine Dinge zu Annäherungen an historische Aufführungen und zur Rolle von Wissenschaft im Inszenierungsprozess besprochen, bevor näher auf die Uraufführung am Hof von Maria Magdalena von Österreich, die Komponistin Francesca Caccini, den Librettist Ferdinando Saracinelli, Gattungsfragen, Besetzung und Geschlechterrollen eingegangen wurde.
Die Thematik der Oper ist für das frühe 17. Jahrhundert ungewöhnlich, aber vor dem Hintergrund des von Frauen regierten Hofes von Florenz zu betrachten. Francesca Caccini, die im Jahr 1587 geboren wurde, stammte aus einer Musikerfamilie und war in Florenz Hofkomponistin. Ihr Vater war der berühmte Sänger, Instrumentalist und Lehrer Giulio Caccini, der Francesca nach dem frühen Tod ihrer Mutter in Gesang und Laute unterrichtete. Von ihm stammen auch die beiden Bände der Nuove Musiche, die zudem als Zeugnisse seiner Unterrichtstätigkeit gelesen werden können, in erster Linie aber Einblicke in die Grundlagen der Musikstilistik geben, in die Francesca hineingewachsen sein muss: Den damals als neu proklamierten Stil des recitar cantando.
In der letzten Einheit des Seminars bot Frau Fischer Einblicke in den Stand des Probenprozesses und der Inszenierung sowie in das Konzept der Produktion der Schola Cantorum Basiliensis. Sie verdeutlichte, dass musikalisch und szenisch eine Annäherung an die historische Uraufführung aus dem Jahre 1625 erreicht werden und in das Hier und Jetzt übertragen werden sollte. Die historische Aufführungspraxis beschäftigt sich in erster Linie mit Instrumentalmusik und mit der stilgerechten Umsetzung des Notentextes. In Basel werden außerdem überzeitliche Methoden zur Aufführungsanalyse und Gemeinsamkeiten zwischen stilhistorischen und systematischen wissenschaftlichen Ansätzen zum sozialen Kontext nutzbar gemacht. Das Ziel ist nicht, die historische Aufführung identisch wiederzugeben, sondern Kontexte und politische Hintergründe für das heutige Publikum in der Inszenierung herauszuarbeiten.
Was das bedeutete, erfuhren die Studenten aus Würzburg, als sie, direkt nach der Ankunft in Basel, den Ort der Inszenierung sahen. In der Sicht-Bar Eventhalle der Blindenkuh Basel, (es handelt sich um ein von blindem Personal bewirtschaftetes, komplett dunkles Restaurant), einer umfunktionierten, ehemaligen Fabrikhalle, schmückten bunte Paradiesvögel die dort eingerichtete Opernbühne. Daneben hatte das Barockorchester La Cetra, unterstützt von Studierenden der Schola Cantorum Basiliensis, mit historischen Instrumenten bereits Platz genommen.
Bei der gerade begonnenen Generalprobe verfolgten die Studenten den Kampf zweier Frauen, der Verführerin Alcina und der mahnenden Mutterfigur Melissa, die vor der männlichen Rolle des Helden Ruggiero hervortraten und die Handlung der Oper bestimmten.
Das Ende der Oper konnte sich nicht maßgeblich an der historischen Vorlage orientieren, da ein Pferdeballett unter den räumlichen Gegebenheiten nicht realisierbar war. Stattdessen wurde die besondere Örtlichkeit der Blindenkuh genutzt und in den dunklen Räumen dieses Restaurants eine Klanginstallation eingerichtet. Bei der Premiere wurde nur der Teil des Publikums, der sich dafür entschied, sich von Melissa befreien zu lassen, in der Dunkelheit von dem blinden Personal durch diese Klanginstallation geführt. Der übrige Teil des Publikums hatte die Möglichkeit, in der Sicht-Bar den augenscheinlichen Wohlstand, den Alcina in der Oper verkörperte, zu genießen.
Den Abschluss der Exkursion bildete eine wissenschaftlich fundierte Diskussionsrunde, die wiederum von Frau Fischer in den Räumlichkeiten der Sicht-Bar geleitet wurde. Dazu waren internationale Wissenschaftler, in das Projekt involvierte Musiker sowie Vertreter der Presse eingeladen.
Als Rahmenprogramm zum eigentlichen Thema waren noch weitere Highlights in Basel geboten. So konnten die Studenten einen Einblick in die Generalprobe der Händeloper Ariodante, die ebenfalls von Musikern der Schola Cantorum Basiliensis unterstützt wurde, erhalten. Da die Thematik der beiden Opern verwandt ist, wurde ein guter Vergleich zwischen Inszenierungskonzepten hergestellt.
Neben der Verfolgung dieser Produktionen war für die Würzburger Studenten in Basel auch eine Führung durch die Schola Cantorum Basiliensis und in der Paul-Sacher-Stiftung eingeschlossen. Dadurch lernten die Studenten Basel als einen besonderen Standort für Musikforschung kennen, da neben der Schola Cantorum Basiliensis, die sich hauptsächlich mit alter Musik auseinandersetzt, auch der Musik der Moderne und Postmoderne Interesse gewidmet wird. Paul Sacher hatte in Basel Mitte des letzten Jahrhunderts die Möglichkeit, große musikalische Nachlässe aufzukaufen, die nach dessen Tod durch die eigens dafür im Jahr 1973 gegründete Stiftung bewahrt werden sollten. Die Bestände wurden mit der Zeit systematisch erweitert, wodurch sich die Stiftung zu einem Forschungszentrum für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts umwandelte. Es befinden sich heute rund 100 Nachlässe und Sammlungen von bedeutenden Komponisten dieser Zeit in der Sammlung. Frau Dr. Heidy Zimmermann, Kuratorin der Paul-Sacher-Stiftung, gab dort Einblicke in die Bedeutung der vorhandenen Dokumente sowie in Möglichkeiten optimaler Konservierung dieses Materials. Da die Bestände noch nicht vollständig erschlossen sind, ermöglichte sie den Würzburger Studenten Perspektiven musikwissenschaftlichen Arbeitens in einer solchen Einrichtung.
Auch einen Überblick über die Schönheit sowie Sehenswürdigkeiten der Stadt ließen sich die Studenten nicht entgehen. So wurden dort unter anderem das Basler Münster und das Rathaus besucht, wobei auch ein Fußmarsch von Groß- nach Kleinbasel über die Mittlere Brücke nicht ausgelassen wurde.
Weitere Informationen zum Projekt und zur Oper finden Sie auf den Seiten der Schola Cantorum Basiliensis unter:
http://www.scb-basel.ch/index/114219
oder bei der Semperoper Dresden, wo die Produktion außerdem am 24. und 25. Mai 2012 zur Aufführung kam:
http://www.semperoper.de/spielplan/detailansicht/details/57439/besetzung/2879.html
Informationen zur Paul-Sacher-Stiftung finden Sie auf deren Homepage unter:
http://www.paul-sacher-stiftung.ch/de/ueber_die_stiftung.html
In Vertretung der Seminarteilnehmer: Lisa Herrmann und Iris Lindenmann
Würzburg, im Juni 2012