Teilsammlung Fritz Degel: Amerika Süd
Die Volksmusik in den Ländern Mittel- und Südamerikas, wie wir sie heute in ihren vielfältigen Formen antreffen, ist in der Vergangenheit nicht einheitlich gewachsen, sondern muss vielmehr als ein Produkt der Verschmelzung verschiedener Komponenten angesehen werden. Zum einen ist vor allem die Musik der präkolumbischen Völker zu nennen, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. Zum anderen haben die Konquistadoren ihre Instrumente und musikalischen Praktiken mitgebracht, ebenso wie die Schwarzafrikaner, die im Verlaufe des mehrhundertjährigen Sklavenhandels nach Amerika verschleppt worden waren. Auch die Musik der Einwanderer vornehmlich aus Mittel-, Ost- und Südeuropa im 19. und 20. Jahrhundert sowie bestimmte Musikstile der europäischen Unterhaltungsmusik haben vor allem im urbanen Musikleben des lateinamerikanischen Kontinents ihre Spuren hinterlassen.
Präkolumbische Musikinstrumente
Aus prähistorischer Zeit sind Knochenflöten mit einem Loch bekannt, die wahrscheinlich zur Imitation von Tierstimmen bei der Jagd benutzt wurden. Ebenso scheint man sonajas (Rasseln) bei Regenzeremonien verwendet zu haben. In frühen Zeiten war die Ausübung von Musik fast immer mit religiösen Anlässen verbunden, bei denen Schrapinstrumente aus gekerbten Knochen und ayotl (aztekisch) verwendet wurden. Dies ist ein Idiophon, welches aus einem Schildkrötenpanzer auf einem Hirschgeweih besteht, der mit Klöppeln aus unterschiedlichem Material angeschlagen wurde. Aus Beschreibungen spanischer Chronisten, ausgegrabenen Instrumenten, Malereien und alten Codices ist zu schließen, dass in den vorinkaischen Kulturen wie Nazca, Chimu und Mochica (und anderen) Musik ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens gewesen sein muss. Ebenso war das bei den Azteken der Fall, die bereits cuicacalli (Musik- und Singschulen) kannten; ähnliches ist von den Inkas bekannt. Gesang und Musikinstrumente waren präsent in den großen sozialen Zusammenkünften, in den Feiern zu Beginn eines neuen Jahres, Festen im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit und dem Ackerbau, in Kriegen und in Zeremonien bei der Einführung neuer Herrscher sowie Festen bei familiären Anlässen wie Heirat, Geburt, Pubertät und Tod. Bei jeder Gelegenheit musste die geeignete Musik mit den passenden Instrumenten gespielt werden. Musik war also auf allen Ebenen der Existenz von großer Wichtigkeit, sie war oft auch als Mittler zwischen der Welt der Götter und der realen Welt unverzichtbar in den Ritualen der Priester. Musikinstrumente hatten oft mythische Wurzeln und wurden als Stimmen der Götter in Tempeln neben deren Statuen verehrt. Wissenschaftler haben allein in Mexico 36 verschiedene präkolumbische Klangerzeuger nachgewiesen. Hauptsächlich handelt es sich dabei, ähnlich wie bei den anderen Völkern Lateinamerikas auch, um Idiophone, Aerophone und Membranophone. Saiteninstrumente scheinen mit Ausnahme eines einfachen Musikbogens (arco percutor) nicht benutzt worden zu sein. Im Folgenden möchte ich einige Beispiele hauptsächlich aus Mexico und den Andenstaaten aufführen.
Das teponaztli war zur Aztekenzeit in Mexico eine Schlitztrommel, die aus einem Baumstamm ausgehöhlt wurde. In die Oberseite wurden Einschnitte in der Form des Buchstabens H gemacht. Die dabei entstehenden zwei Zungen wurden unterschiedlich dick ausgearbeitet, so dass sie zwei verschiedene Töne im Abstand große Sekunde, kleine oder große Terz oder Quarte bzw. Quinte ergaben. Sie wurden mit zwei Stöcken (olmaitl) geschlagen, deren Enden mit Kautschuk versehen waren. Die Trommel, die häufig anthropomorph oder zoomorph gestaltet war, wurde von dem vor ihr sitzenden Spieler auf einen geflochtenen Grasring gestellt. Sie wurde im Krieg und zur Ehre der Krieger gespielt aber auch bei religiösen Zeremonien und Tänzen und bei der Wachablösung im Palast. Die huehuetl war eine aus einem Baumstamm ausgehöhlte, einfellige Trommel, die 40-60 cm Durchmesser bei 1 m Höhe besaß. Sie war mit Hirsch- oder Jaguarfell bezogen und wurde mit den Händen bzw. den Fingern perkutiert. Von ihr existierten auch größere Formen wie die panhuehuetl mit einer Größe bis zu 2,50 m und die riesige tlalpanhuehuetl, die im Kriegsfall geschlagen wurde und angeblich über eine Distanz von 12 km zu hören war. Andere Trommeln hatten einen Korpus aus gebranntem Ton. Ferner waren ayacaztli in Gebrauch, die den heutigen Maracas gleichen. Sonajas (Rasseln) aus verschiedenen Materialien sowie raspadores (Schraper) aus geriffelten Knochen oder Tierhörnern waren weit verbreitet. Verschiedene Flöten wurden als Blasinstrumente benutzt ebenso wie Trompeten aus großen Meerschnecken (atecocolli) und Okarinas (huilacapitztli) sowie silbadores aus Ton. Bei letzteren handelt es sich meist um zwei miteinander verbundene Tongefäße, die häufig in Mensch- oder Tierform ausgestaltet waren. Man konnte Wasser (oder andere Flüssigkeiten) eingießen; beim Neigen des Instruments drückte dann das Wasser Luft über die Kante einer Öffnung so dass ein Ton entstand.
Neben den in Mexico vorkommenden autochthonen Musikinstrumenten finden sich in den andinen Kulturen Südamerikas als wichtigste Gruppe viele verschiedene Aerophone. In einem Video [422] des Museums für Geschichte, Archäologie und Anthropologie in Peru werden diese Instrumente gezeigt und in einem weiteren Video [423] werden Nachbauten einiger dieser Instrumente gespielt, so dass man sich eine Vorstellung von ihrem Klang machen kann. Trompeten aus Meerschnecken (pututo) und deren Nachbauten aus Keramik, sowie gerade Tontrompeten und gewundene Trompeten mit einer Stürze in Form eines Katzenkopfes werden präsentiert. Tontrommeln von 15 cm bis zu einer Länge von 1,2 m sind die Vertreter der Membranophone. Okarinas, ebenfalls aus Ton, sowie Kalebassenflöten mit je zwei Grifflöchern und einem Windkanal sowie eine Holzflöte in Handform und viereinhalbtausend Jahre alte Traversflöten aus Knochen mit einem Blasloch in der Mitte und zwei seitlichen Öffnungen wurden gespielt. Unter den Längsflöten ist vor allem die quena zu erwähnen, die aus Ton, Knochen, Kürbis oder Schilf hergestellt sein konnte und deren typischer Klang auch heute noch zu dem charakteristischen Merkmal vieler Volksmusikgruppen gehört. Die Panflöte als weiteres wichtiges Melodieinstrument ist im gesamten Bereich der Anden weit verbreitet. Nach Sachs [424] ist dieses Instrument aus Ostasien über das Meer nach Südamerika gebracht worden. Sie wird hier als antara (Quechua), siku (Aymara), rondador (Ecuador), capador (Kolumbien), phuku, laquita, oder mit dem spanischen Ausdruck zampona bezeichnet. Als Materialien wurden häufig die Röhrenknochen von Pelikan und Kondor benutzt, die man in unterschiedlicher Länge zusammenband. Aber auch Instrumente aus Keramik, Bambus, Holz und Schilf waren und sind üblich. Bekannt war auch ein ovevi mataeto oder cacho de venado benanntes Blasinstrument, dessen Gebrauch aber schon 1614 von der Kirche verboten wurde. Es handelt sich dabei um den Schädel von Hirsch oder Guanako, den man als eine Art Okarina benutzte, indem man in die Öffnung blies, in die normalerweise der Fortsatz der Wirbelsäule eintrat. [425][426][427][428]
Europäische Musikinstrumente
Als die Konquistadoren nach der Entdeckung durch Kolumbus Mittel- und Südamerika in ihre Gewalt brachten, wurde den Ureinwohnern nicht nur das Christentum aufgezwungen, sondern es wurden auch die Kultur, Sitten und Gebräuche der Eroberer aus ihren Herkunftsländern Spanien und Portugal in die Neue Welt übertragen. Wie schon erwähnt, sind aus der präkolumbischen Epoche so gut wie keine Saiteninstrumente erhalten. Dies änderte sich nun mit den neuen Herren, die nun die in Europa häufig gespielten Chordophone einführten. Die Portugiesen brachten die guitarra und das cavacquinho sowie das bandolim nach Brasilien. Die Spanier führten ebenfalls die guitarra, das rabel (eine Art Volksvioline) sowie die vihuela ein, aber auch die laúd, die bandurria und die Harfe, meist in der Form der harpa dos ordenes. Einen starken Einfluss in der Musikausübung hatte dabei die katholische Kirche, deren Repräsentanten schon im 16. Jahrhundert die Zerstörung des vorhandenen Instrumentenbestandes vorantrieben, der ja auch die Grundlage zur Ausübung ritueller Gebräuche darstellte, die nun verboten wurden. Andererseits übte die Musikpraxis in den christlichen Kirchen einen großen Einfluss auf die Indianer aus. Im weltlichen Bereich wurden besonders zahlreich Tanzlieder und verschiedene Tanzarten von den Eroberern in der Neuen Welt eingeführt, die häufig im 3/4-Takt oder 6/8-Takt standen. In Mexico gehen der jarabe, das cancion und der son beispielsweise auf den alten spanischen Stil zurück. Die Mehrstimmigkeit entwickelte sich meist in Terzparallelen, die Begleitung durch Gitarre und Bandurria beschränkte sich meist auf Tonika und Dominante. Die anhemitonischen pentatonischen Skalen, die in indianischen Musikgattungen wie bei den Inkas üblich waren, wurden nun durch die temperierte europäische Skala mit deutlichem Übergewicht der heptatonischen Durtonart ersetzt. Am reinsten hat sich die lusospanische Volksmusik in Ländern mit einem geringen indianischen Bevölkerungsanteil erhalten wie in Brasilien, Argentinien und Chile. In Mittelamerika, Peru und Bolivien und zum Teil Kolumbien hat sich ein Mestizostil mit größerem indianischem Einfluss herausgebildet. Hunderte von Lied- und Tanzformen, die von der iberischen Halbinsel stammen, wurden unter dem Einfluss der bestehenden Musikpraxis verändert. Hier kann man Melodien spanischen Stils hören, die aber mit den überlieferten pentatonischen Skalen auf indianischen Instrumenten, wie z.B. der Panflöte, gespielt werden. Viele europäische Instrumente wurden aber nicht einfach übernommen, sondern von der indianischen Bevölkerung oft nach ihren Bedürfnissen abgewandelt und angepasst. Es setzte ein Prozess der Verschmelzung ein, dessen Ergebnis eine unübersehbar große Anzahl von lateinamerikanischen Saiteninstrumenten ist, die oft allerdings nur eine lokal begrenzte Bedeutung besitzen. [429]
Schwarzafrikanischer Einfluss
Der fast vier Jahrhunderte währende Sklavenhandel, in dessen Verlauf Millionen Schwarzafrikaner nach Mittel- und Südamerika verschleppt worden waren, hat dazu geführt, dass Merkmale und Instrumente afrikanischer Musik ihren Weg in die Neue Welt fanden. Vor allem in Teilen der Karibik wie Kuba, Haiti, Jamaika und Trinidad aber auch auf dem südamerikanischen Festland und hier hauptsächlich in Brasilien (Bahia) hat die Musik der Schwarzen die Musikausübung in ihrer neuen Umgebung fundamental geprägt. Zu nennen wären dabei die Übernahme afrikanischer Vortragsweisen wie das call and response-Prinzip, die starke Betonung perkussiver Elemente, Polyrhythmik und Polyphonie, Hemiolen und Synkopen sowie die Improvisation, die in Melodie, Harmonie und Rhythmus Anwendung finden kann.
In Brasilien stammten die Sklaven zunächst überwiegend aus den Gebieten Angolas und des Kongos, in den letzten 150 Jahren der Sklaverei aber kamen viele aus Westafrika (Nigeria und Dahomey), von den Stämmen der Yoruba und der Fon. Hauptsächlich in Bahia aber auch in anderen Gegenden findet man noch heute synkretistische Religionsformen wie zum Beispiel den candomblé, der aus Elementen der Kultur der von den Yoruba abstammenden Schwarzen in Verbindung mit dem Katholizismus besteht. Afrikanische religiöse Vorstellungen wurden auf Begriffe und Riten der katholischen Kirche projiziert und konnten somit unter ihrem Schutzmantel überleben. Die Kulthandlungen werden heute noch in der Yorubasprache abgehalten und auch die musikalische Untermalung durch die agogo-Glocke und drei unterschiedlich große atabaque-Trommeln ist rein afrikanischen Ursprungs. Sie sind aber nicht allein Mittel zur Verherrlichung des Göttlichen, sondern ermöglichen einen direkten Kontakt zu den göttlichen Wesen. Von den Trommeln wird angenommen, dass sie sprechen. In mancher Hinsicht ähneln sie sakralen Wesen, die über vitale Kräfte verfügen, nur besonders eingeweihten Musikern ist es gestattet, sie zu spielen. Als zweites Beispiel soll die congada erwähnt werden. Es handelt sich dabei um eine Art von folguedo (populäres Tanztheater), bei dem die Schwarzen formell einen "König von Kongo" wählen. Auch die populäre samba hat ihre Wurzeln in der afrikanischen Musiktradition, ihre spezielle Ausprägung fand aber im Rahmen ihres neuen kulturellen Umfelds statt. Eine ganze Reihe von Instrumenten wurde von den Sklaven aus ihrer Heimat mitgebracht bzw. in Amerika nachgebaut und weiterentwickelt. Viele der zahlreichen handgeschlagenen Trommeln hatten in Afrika ihren Ursprung, das Bügelxylophon, die Sansa, die Bogenlaute sowie der berimbao-Musikbogen des capoeira-Kampfspiels stammen von dort. Schrap- und Rasselinstrumente (maracas, guiro, reco-reco, uvm.) sind noch heute unverzichtbarer Bestandteil vieler Musik- und Tanzformen, während Lamellophone und Bogenlaute wieder in Vergessenheit geraten sind. [432][433]
Panflöten
Die Panflöte zählt zu den sehr alten Instrumenten, sie soll schon vor 6000 Jahren bekannt gewesen sein. Ihr Vorkommen lässt sich in fast allen Hochkulturen nachweisen und auch heute noch ist sie in vielen Musikkulturen Asiens, Europas, Afrikas und vor allem Südamerikas zuhause. Hier waren Traversflöten aus Pelikanknochen schon vor 4500 Jahren (Funde von Caral in Peru) bekannt, in den Kulturen von Chimu und Chancay vor 3500 Jahren finden sich kleine Panflöten mit 4-5 Röhren aus Silber, auch in der Mochica-Periode finden sich Instrumente mit 5-7 Röhren aus Silber, Schilf und Ton. Nicht nur in Peru, sondern auch in Kolumbien (in der Tairona- oder Colima-Kultur), in Bolivien (Chicha) und Ecuador (Carchi, Chorrera), um nur einige Beispiele zu nennen, war dieses Instrument in vorkolumbischer Zeit bekannt. Noch heute ist die Panflöte in Südamerika eines der am meisten gespielten Blasinstrumente und ist vor allem aus der andinen Musikpraxis nicht wegzudenken.
Panflöten bestehen aus einer Anzahl von hohlen Röhren, die fast immer an einem Ende geschlossen (gedackt) sind. Unterschiedliche Materialien finden zu ihrem Bau Verwendung: Kondor- und Pelikanknochen, Schilfrohr, Bambusrohr und Keramik, aber auch Holz, Metall und Kunststoff. Die verschieden langen Röhren werden treppenartig der Größe nach geordnet und mit Schnüren oder Stoffstreifen zusammengebunden. Je nach regionaler Herkunft gibt es Panflöten unterschiedlicher Formen, Größen und Stimmungen, die auch verschieden benannt werden. Außer den oben genannten finden sich Bezeichnungen wie jula jula, pusamoreno, ayarachi, chiriguano, siku ch´alla, palla, pilloilo, mimula, suri siku, italaque, siringa, tselo, hetu, noxari, reribaco, uvm.
Als antara werden überwiegend die einreihigen Instrumente bezeichnet, wie das nebenstehende mit der ungewöhnlichen, symmetrischen Form. Die am weitesten verbreitete Art dürfte die zweireihige siku sein, bei ihr verteilen sich die Töne der Leiter abwechselnd auf die eine und auf die andere Reihe. Diejenige Reihe, die kürzer und dem Spieler zugewandt ist, wird als ira bezeichnet, während die vom Spieler wegzeigende Seite als arka bezeichnet wird. Beide Reihen sind in der Höhe etwas versetzt, was die Spielbarkeit erleichtert. Traditionell wurde das Instrument im Hochland von Peru von zwei Personen in einer verzahnten Technik gespielt. Man fügt oft noch eine weitere Reihe von Resonanzrohren ein, die hinter den gespielten Röhren liegen und halb so lang wie diese oder gleich lang und nach unten offen sind. Sie klingen damit etwa eine Oktave höher und erzeugen ein reicheres Obertonspektrum.
Gebaut wird die siku meist in vier Größen: chuli (klein) ca 15 cm, malta (mittel) bis etwa 30 cm und zanka (gößere). Bassinstrumente wie das nebenstehende werden oft als toyo bezeichnet und erreichen leicht eine Größe von 1,80 m. Eine weit verbreitete Praxis ist das chorische Spiel mit bis zu 10-60 Teilnehmern in sogenannten tropas. Die jula jula beispielsweise ist ein Typ mit drei ira und vier arka - Röhren. Sie wird in fünf Größen in solch einem tropa genannten Ensemble verwendet: orkho jula, mali jula, liku jula, tijli jula und ch´ili jula (der Größe nach absteigend). Sie liegen im Quint- bzw. Oktavabstand auseinander. Ihr Zusammenspiel erlaubt eine besondere Form der Polyphonie, die je nach Zusammensetzung einen unverwechselbaren Gesamtklang ergibt.
Eine oft geübte Praxis ist auch das Zusammenspiel von zwei unterschiedlichen Instrumenten durch eine einzelne Person. Meist benutzt der Spieler eine Panflöte in mittlerer oder kleiner Größe, die er mit der einen Hand hält, während er mit der anderen eine Trommel spielt, die er sich umgehängt hat. Video [437] Video [438]
Eine Sonderform ist der rondador in den Anden Ecuadors mit seiner Entsprechung capador in Kolumbien. Bei diesen Instrumenten handelt es sich um einreihige Panflöten mit 25, 33 oder 41 Röhren (beim rondador). Im Unterschied zu den übrigen antaras besitzen sie zwischen den Haupttönen alternierend Zwischenröhren unterschiedlicher Größe für komplementäre Töne. Der Spieler bläst nicht nur den Hauptton, sondern einen oder beide Nachbartöne mit, die in Terzen oder Quarten gestimmt sein können und einen polyphonen Klang ermöglichen. Auch Glissandi lassen sich mit dieser Bauform leichter realisieren. [434][435][436]
Berimbao
Bei dem berimbao handelt es sich um einen einsaitigen Musikbogen, der im Nordosten Brasiliens in Bahia vor allem im Zusammenhang mit der capoeira gespielt wird. Dieses Instrument geht auf schwarzafrikanische Ursprünge zurück: in der Provinz Huila in Südwestangola kommt ein mbulumbumba genannter Bogen vor ebenso wie in der Region um die Stadt Benguela ein als oburububa bezeichnetes Instrument, welche bis auf geringe Unterschiede mit dem brasilianischen Bogen vergleichbar sind.
Die Grundlage eines berimbao bildet eine ca. 1,5 m lange Bogenstange oft aus dem Holz des Beriba- oder Gobirobabaumes, der häufig bunt bemalt wird. Gespannt wird er heute mit einer Stahlsaite (corda), die die früher gebräuchlichen Darmsaiten, Pflanzenfasern und Tiersehnen ersetzt. Sie wird an einer Seite zu einer Schlaufe geformt und an einem stiftartigen Fortsatz eingehängt. Am anderen Ende verläuft sie über ein Lederstück, welches ein Einschneiden verhindert und ein Schnarren der Saite verhindert, welche unterhalb festgeknotet wird. Eine ebenfalls bemalte Kürbiskalebasse (cabaca) wird als Resonator mit einer Schlaufe über der gespannten Saite festgebunden. Je nachdem wo das geschieht, kann man den Grundton und damit die Stimmung des Bogens individuell verändern. Halte- und Spieltechnik des Instruments sind ziemlich komplex. Der Bogen wird mit Mittel- und Ringfinger, z.B. der rechten Hand, oberhalb der Kalebasse umfasst, während der kleine Finger in die Schlaufe der Kalebassenbefestigung als zusätzliche Stabilisierung eingehängt wird. Daumen und Zeigefinger halten eine Kupfermünze (dobrao) oder einen flachen Stein (pedra). Drückt man sie gegen die Saite, so wird diese verkürzt und es erklingt ein zweiter Ton, der bis zu einem Ganzton über dem Grundton liegen kann. Durch nur leichtes Anlegen erzielt man als dritte akustische Variante eine Art Zwischenton, der mehr ein Rasseln darstellt und als perkussives Element fungieren kann. Die freie Hand schlägt mit einem ca. 30 cm langen Holzstäbchen (baqueta), das mit Daumen und Zeigefinger gehalten wird, die Saiten und gibt damit den Rhythmus vor. An Mittel- und Rinfinger ist das caxixi befestigt, das ist eine mit trockenen Körnern, Samen oder Steinchen gefüllte Korbrassel, die den Anschlagsrhythmus verstärkt. Der Abstand des Kalebassenresonators zum Körper des Spielers wird beim Anschlagen der Saiten ständig verändert bis zum vollständigen Schließen der Schallöffnung. Man erreicht dadurch ein Dämpfen (vollständig geschlossen) oder ein von der jeweiligen Öffnungsweite abhängige Verstärkung bestimmter Partialtöne sowie ein An- und Abschwellen des Klangs (Wah-Waheffekt). Der berimbao erscheint dabei in drei unterschiedlichen Größen: gunga, die größte und wichtigste, media und viola die je eigene Aufgaben in der Begleitung des Kampfspiels zu erfüllen haben.
Die capoeira entstand ursprünglich in den Zufluchtsorten geflohener Sklaven im Nordosten Brasiliens als Kampfform im Widerstand gegen die weißen Verfolger. Sie war lange Zeit der Regierung ein Dorn im Auge, wurde verboten und die Ausübung mit drakonischen Strafen belegt. Im Laufe der Zeit wandelte sich dieser Kampfsport nach und nach in eine mehr spielerische Form mit Musikbegleitung (jogo), teilweise auch um den wahren Sinn der capoeira zu verschleiern. Im späten 17. Jahrhundert entstanden, scheint die erste musikalische Begleitung des Kampfspiels im 19. Jh. durch Trommeln erfolgt zu sein. Der berimbao, zunächst ein Instrument der Bettler und umherziehenden Händler, erscheint erst später in der Capoeira, ist aber heute das bestimmende Element. Musiker und Teilnehmer bilden einen Kreis (roda), in dem das Spiel abläuft. Zur musikalischen Begleitung gehört mindestens ein berimbao, oft sind es zwei oder drei in den unterschiedlichen Größen und Stimmungen. Außerdem finden noch reco-reco (Schrapröhre), chocalho (Gefäßrassel), agogo (Doppelglocke), pandeiro (Schellentrommel), atabaque (offene Fasstrommel) und seltener das tamburim (einfellige, kleine Rahmentrommel) Verwendung. Der mestre, Leiter und meist auch Vorsänger, eröffnet mit seiner gunga das jogo und singt die einleitende ladainha. Im weiteren Verlauf findet zwischen ihm und den im Kreis stehenden ein Wechselgesang statt. Die toques genannten rhythmischen Komponenten des berimbao bilden dabei typische Spielweisen, Motive und Phrasen, die konstitutiv für den Ablauf des jogo sind. Sie tragen Namen wie angola, sao bento oder santa maria und sind Zeichen der synchretistischen Verschmelzung von Katholizismus und afrikanischen Kulturelementen. Nicht selten werden dabei Trommelrhythmen des candomblé in die toques integriert.
Die capoeira vereint verschiedene Charakteristika aus Kampfkunst, Tanz, Ritual, musikalischem Ausdruck und Theater zu einer eigenständigen kulturellen Form. Konstitutiv dafür sind die verwendeten Musikinstrumente und hier vor allem der berimbao. Die von ihm gespielten toques sind ebenso von grundlegender Wichtigkeit wie die roda und bestimmte Bewegungsformen wie die ginga, ein wiegender, tänzerischer Gang. Heute findet sich die capoeira nicht nur in Bahia, sondern ist in ganz Brasilien verbreitet. Meist werden dabei aber die artistischen Sprung- und Bewegungsformen bei der capoeira regional in den Vordergrund gestellt, die traditionelle capoeira angola, wie hier beschrieben, findet sich fast nur noch im Hinterland Bahias. [32, S. 148 ff.] [441]
Video [442]
Video [443]
Quena
Die quena (Aymarasprache) ist das am weitesten verbreitete Blasinstrument innerhalb der andinen Volksmusik Lateinmerikas. Es handelt sich dabei um eine längsgeblasene Flöte aus einem einzelnen Rohr, welches an beiden Enden offen bleibt. Sie verfügt an einem Ende über eine Kerbe, welche direkt angeblasen wird und heute über vier bis acht Grifflöcher, die früher im gleichen Abstand zueinander standen. Sie kommt in unterschiedlichen Größen zwischen 15 cm und 120 cm vor, ebenso sind die verwendeten Materialien sehr verschieden: am weitesten verbreitet sind Flöten aus natürlich vorkommenden Rohrpflanzen wie wildes Zuckerrohr oder Bambusarten, daneben werden auch Kalebassenarten, Knochen von Tieren (z.B. Lama, Pelikan, Kondor, Jaguar) und früher auch von Menschen verwendet. Auch Metalle, Holz, Ton, Stein und Kunststoff dienen zum Bau der Flöte. Die unterschiedlichen Materialien, Formen, Größen und auch die verwendeten Stimmungen variieren von Region zu Region, und tragen auch unterschiedliche Bezeichnungen. Aus der Vielfalt der verwendeten Namen sollen hier einige aufgeführt werden: shilo, pigollo, kenali, lawata, mahala, pinkillo, chayna, qqenacho, choquela, kena pusi, mama quena, kenakena, phusipia, phalawata, flauta, chaqallo, ph´alaata, puli puli, pusippiataica, flauta de sandia, mollo, hilawata, machu quena, uvm. Am meisten durchgesetzt hat sich ein Typus mit einer Länge von 36-38 cm, einem Durchmesser von 2,5 cm, sechs Grifflöchern von oben und einem Daumenloch von unten, das dem ersten Loch etwas versetzt diametral gegenüberliegt. Sie ergibt die diatonische G-Dur bzw. e-Moll Leiter und kann etwa drei Oktaven umfassen. Dieser Umstand ist wahrscheinlich auf das Zusammenspiel mit Saiteninstrumenten spanischer Provenienz zurückzuführen. Wie man festgestellt hat, ist dies die bevorzugte Tonart, die in der kreolischen Musik vorkommt. Daneben ergeben quenas mit vier Löchern eine pentatonische, mit fünf eine hexatonische und mit sechs eine heptatonische Skala.
Der Klang einer quena hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zu nennen wären hier vor allem der innere Durchmesser des Instruments, die Dicke der Rohrwände, die Form, (kreisrund oder mehr elliptisch), die Geradheit (gebogen nach oben/unten oder nach links/rechts), die Härte des Materials und, besonders wichtig, die Form der Kerbe, die der Spieler anbläst. Es existieren verschiedene Formen des chanfle (Kerbschnitt), am weitesten verbreitet sind die U-Form, die V-Form und die rechteckige Form. Die Kerbe in V-Form erzeugt dabei den kräftigsten, aber auch den schärfsten Ton. Man benötigt dabei auch am meisten Kraft. Die rechteckige Form wird meist im Andenhochland gespielt, sie war wohl die aus der Tradition überlieferte Form, wie archäologische Beispiele zeigen. Die U-Form erzeugt einen mehr runden und weichen Klang, wie man ihn von vielen professionellen Musikern kennt. Quenas mit dickerem Durchmesser lassen Töne mit tieferen Frequenzen stärker hervortreten, während umgekehrt dünnere Instrumente mehr die höheren Frequenzen betonen. Bei einer hochwertigen quena sollte das Innere geglättet und optimal rund sein, der Durchmesser sollte über die ganze Länge konstant sein und nicht konisch verlaufen. Ebenso sollten keine Abweichungen nach oben oder unten, links oder rechts vorliegen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, lässt sie sich auch in höheren Lagen sauber intonieren und spielen. Andernfalls gibt es Verzerrungen, die beim Zuhörer den Eindruck erwecken, "dass die quena lügt" (que la quena miente).
Quenas waren schon in der präkolumbischen Epoche bekannt, quenas aus Stein, Knochen und Keramik waren z. B. in den Kulturen Chavin, Nazca, Chimu sowie Mochica, Paracas und Inka nachweislich in Gebrauch. Sie hatten drei bis sechs Löcher in gleichem Abstand und waren oft pentatonisch gestimmt, abweichende Skalen waren aber ebenso vertreten. Es ist anzunehmen, dass diese Instrumente auch damals im gesellschaftlichen Leben eine große Rolle gespielt haben, ähnlich so wie heute. Vor allem bei den großen sozialen Festen haben sie ihren Platz, wo sie häufig ähnlich wie die Panflöten in tropas (Ensembles) in unterschiedlichen Größen gespielt werden, um eine größere polyphone Wirkung zu erzielen. Vor allem in der Kultur der Aymara in Nordchile, dem bolivianischen Hochland und Peru findet sich diese Praxis, z.B. bei einem mokolulu genannten Tanz. Man verwendet dabei eine pusipia genannte Quena (pusi = vier , p´iya = Loch) in drei verschiedenen Größen: 60 cm (tayka), 40 cm (malta) und eine mit 30 cm. Die kleinste steht eine Oktave, die mittlere eine Quarte oder Quinte über der tayka pusipia. Die Spieler sind dabei traditionell prächtig kostümiert und sind gleichzeitig auch die Tänzer. Begleitet werden sie neben anderen perkussiven Instrumenten hauptsächlich von einer Trommel, über die eine Schnur gespannt ist, an denen Kaktusstacheln befestigt sind, die als Schnarre dient. [Video 449] Ähnliche tropas werden auch in anderen Gegenden mit den quenaquenas, den choquelas und den lichigayos gebildet, die bei den jeweiligen lokalen Festen und Zeremonien auftreten. Aber auch in magischen und religiösen Kontexten findet die Flöte ebenso wie im täglichen Arbeitsablauf vor allem beim Hüten der Viehherden Verwendung. Zum anderen wird sie als solistisches oder begleitendes Instrument in den kreolischen Ensembles bis hin zu sinfonischen Orchestern eingesetzt und nicht zuletzt dient sie der persönlichen Erbauung und Entspannung. [434] [435]
Beide Instrumente der Sammlung sind aus Lamaknochen entstanden, einem Material, welches heute nur noch selten verwendet wird. Sie sind etwa gleich groß und beide sind ornamentiert. In die linke Quena 1 sind lineare Muster (wahrscheinlich) eingebrannt sowie verschiedenfarbige, runde Steinchen eingelegt, der Gelenkkopf des Knochens ist beschnitzt. Die rechte Quena 2 ist stärker mit linearen Mustern überzogen und der Kopf ist in Form eines Jaguarkopfes ausgestaltet. Beide Instrumente verfügen über 4 Grifflöcher, so dass eine pentatonische Stimmung angenommen werden kann.
Video Quena[444]
Video Quena [445]
Charangos
Das bekannteste und typischste Saiteninstrument der andinen Volksmusik ist das charango in seinen vielfältigen Abwandlungen. Seine genaue Herkunft ist unklar, fest steht jedoch dass es sich bei diesem Instrument um einen Abkömmling europäischer Saiteninstrumente handelt, die im Zuge der Eroberung und Kolonialisierung des südamerikanischen Kontinents hierhin ihren Weg fanden und etwa um 1780 hier erwähnt worden sein soll. Man kann manche Kennzeichen dem einen oder anderen dieser europäischen Instrumente zuordnen, wie der Gitarre oder der Bandurria oder dem Timple, verlässliche Quellen finden sich jedoch keine. Das Zentrum des Vorkommens liegt heute in der sierra central der Anden und dem altiplano mit den angrenzenden Tälern in Peru und Boliviern. Das Verbreitungsgebiet umfasst aber heute auch Ecuador, Chile und Argentinien und taucht in der Volksmusik auch anderer Länder Südamerikas auf.
Im Laufe der Zeit haben sich aus dem einst europäischen Instrument unter dem Einfluß der vorhandenen Kulturformen eine sehr große Zahl von Varianten herausgebildet, die ein eigenständiges Gepräge besitzen und das charango heute als ein genuin südamerikanisches Instrument erscheinen lassen. Die zahllosen Varianten unterscheiden sich dabei in Größe, Material, Bauweise, Form, Saitenzahl, Anzahl der Bünde und Stimmung. Trotzdem hat sich eine Art Standard herausgebildet, das charango tipo (oder charango modelo). Es besitzt meist die Form einer kleinen Gitarre, hat eine Mensur um die 37 cm bei einer totalen Länge von ca 60 cm. Die Saiten aus Stahl oder Nylon liegen in fünf Chören, von denen vier gleich gestimmt sind und das dritte Paar oktaviert ist. Die bevorzugte Stimmung (temple natural) dabei e´´e´´ a´á e´e´´ c´´ c´´ g´g´. Der Korpus kann dabei aus einem Stück Holz herausgearbeitet sein, den Hals eingeschlossen (lauqueado), dabei ist der Boden meist gerundet oder in der Form "pecho de gallo", d.h. in der Form einer "Hühnerbrust", wie sie auch beim kanarischen timple oder der mexikanischen vihuela vorkommt. Eine andere Bauform entspricht der der Gitarre mit Zargen aus Holzfurnier und flachem Boden ( siehe Charango gleich rechts). Eine Besonderheit bildeten in der Vergangenheit das charango quirquincho (Quechua) oder armadillo (span. Gürteltier) bei dem der getrocknete Panzer des Tieres als Resonanzkörper genutzt wurde (linke Abbildung). Diese Arten sind heute geschützt und solche Instrumente dürfen nicht mehr gebaut oder gehandelt werden. Als Wirbel werden einfache Holzwirbel oder Gitarrenmechaniken verwendet, die Anzahl der Bünde liegt meist um die 15. Der aus Bolivien stammende Musiker, Komponist und Instrumentenbauer Mauro Nunez hat mit der charangologia nach dem Vorbild europäischer Streich- oder Zupfquartette versucht, mit dem Bau höher oder tiefer klingender Instrumente einen ähnlichen Effekt im Zusammenspiel zu erzielen. So gibt es Formationen, die aus charango bajo, baritono, modelo und walaycho ( nach Größe und Klang aufsteigend) zusammengesetzt sind.
Zahllose Varianten lassen sich bei den Saiten und den verwendeten Stimmungen beobachten. Neben der genannten temple natural werden in einer südamerikanischen Webseite 31 verschiedene Stimmungen aufgeführt. Nicht erfasst werden dabei die tonalen Systeme, die nicht in ein temperiertes System passen und vor allem in ländlichen Ritualen Verwendung finden.
Auch die Saiten variieren nach Material wie Nylon, Stahl, Darm oder Pflanzenfasern (selten). Ihre Zahl und die Anordnung in Chören ist ebenfalls variabel: von 5 Einzelsaiten über Doppel- und Dreifachchören mit meist 10 oder 12 Saiten bis hin zu 20 Saiten in fünf Vierergruppen. Neben der vorherrschenden 8 -Form der Gitarre lassen sich ebenso, vor allem in der Provinz Ayacucho, dreieckige, trapezförmige und auch runde Formen antreffen.
Das Instrument wird in der gegenwärtigen Musizierpraxis hauptsächlich in drei Tonlagen gespielt. Neben dem charango tipo werden noch das walaycho (chillador) und das ronroco in vielen Gruppen verwendet. Letzteres ist von Gonzalo Hermosa, einem Mitglied von "Kjarkas" eingeführt worden. Es wird fast immer aus einem Stück Holz herausgearbeitet und ist oft kunstvoll verziert. Der Korpus hat meist gerade Kanten an den Seiten und einen gewölbten Boden. Das Instrument ist größer als das tipo und steht normalerweise eine Quinte tiefer als dieses. Sein typischer Klang hat ihm auch den Namen gegeben (ronco = rauh, heiser) Das walaycho als kleinere Form hingegen wird fast immer eine Quinte höher gestimmt als die Normalform (tipo)und sein etwas greller Klang hat ihm auch den Namen chillador eingebracht (chillar (span). = schreien, kreischen) Allein in Peru werden 11 verschiedene Charango- und 8 verschiedene Walaychoformen gezählt, dazu kommen noch die zahllosen Varianten hauptsächlich aus Bolivien und einigen anderen Staaten. In beiden Staaten gilt das Charango offiziell als Nationalinstrument. [434] [435]
Harfen
Die arpa dos ordenes war ein in Spanien weit verbreitetes Musikinstrument, das im 16. Jahrhundert in hoher Blüte stand. Diese Form hatte zwei gekreuzte Saitenreihen ohne Umstimmvorrichtung. Es ist leicht nachvollziehbar, dass dieses Instrument von den Konquistadoren auch in der Neuen Welt eingeführt wurde. Zunächst scheint sie ihren Platz in der Kirchenmusik gehabt zu haben, wurde aber rasch auch in der profanen Musik heimisch und war in der Kolonialzeit das bevorzugte Begleitinstrument für die Salontänze der kreolischen Oberschicht. Wie viele andere Saiteninstrumente auch, wurde es im Laufe der Zeit aber verändert und den jeweiligen Bedürfnissen angepasst. Die Harfe ist vor allem in Paraguay und in Venezuela das dominierende Element in der Volksmusik, aber auch in Peru, Ecuador, Bolivien, im Zentrum Chiles und in der Provinz Vera Cruz in Mexico wird sie häufig gespielt Die heutigen südamerikanischen Harfen sind größer als die keltischen, aber kleiner als die klassischen Harfen. Sie sind rein diatonische Instrumente, besitzen keine Pedale und keine Halbtonklappen. Gestimmt werden sie mit Holz- oder Metallstiften, die in den Hals des Instruments eingebohrt sind oder mit Stimmwirbeln. Unterscheiden kann man sie vor allem nach der Form und der Lage der Schalllöcher. Die in den Anden gespielten Formen, vor allem in Peru, zeichnen sich vor allem durch die enorme Größe des trapezförmigen, halbkonusförmigen Korpus aus. Er ist wesentlich breiter als bei den Harfen in Paraguay und Venezuela oder den restlichen Anden. Der Schallkörper kann aus verschiedenartigen Hölzern gebaut sein, manchmal fanden früher auch große Kalebassen oder große Gürteltierpanzer Verwendung. Oftmals besitzen die Instrumente Füße oder Stützen, Kopf und Hals werden oftmals ornamental gestaltet. Die Saiten waren ursprünglich aus Darm gedreht, was heute nur noch in einigen Regionen der Anden (z.B. Huancayo, Huamanga, Huancavelica) üblich ist und dann oft nur die tiefen Basssaiten betrifft. Die Bespannung besteht heute überwiegend aus Nylon oder einfach Angelschnur unterschiedlicher Stärke, was allerdings zu einem mehr trockenen, stumpfen und perkussiven Klang führt. In einigen Ländern, wie z.B. Ecuador, bevorzugt man reinen Stahlsaitenbezug, was einen besonders klaren Ton ergibt. Der Effekt des Nachklingens dieser Saiten verleiht dem Spiel einen besonderen Reiz. Auch bei Nylonbespannung wird zum Betonen der Höhen oft in den höheren Registern Stahlsaitenbezug gewählt. Alle Saiten werden an einer Aufhängeleiste in der Resonanzdecke befestigt, die einen Teil der Zugkräfte aufnehmen kann. Die Saitenzahl schwankt in den Anden zwischen 32 und 38 Saiten, während die typische Paraguayharfe 36 und die venezolanische harpa llanera 32 Saiten besitzt. Die Schalllöffnungen der Paraguayharfe befinden sich auf der Rückseite und sind dem Spieler zugewandt. Bei den Harfen, die im Andenraum gespielt werden, befinden sich zwischen zwei und acht (in der Region Cuzco) runde, meist unterschiedlich große Schalllöcher in der Resonanzdecke. Angerissen werden die Saiten üblicherweise mit den Fingernägeln, einige Spieler verwenden auch metallene, auf die Fingerkuppen aufgesetzte Plektren, ähnlich wie beim arabischen Qanun. Die linke Hand spielt meist die Basssaiten, während die rechte Hand die hohen Melodiesaiten zupft. Eine besondere Spieltechnik hat sich bei Prozessionen und Umzügen in den Anden herausgebildet. Die Harfe wird dabei mit dem Schallkörper auf der Schulter mit Hilfe von Tüchern festgebunden und dann in der Nähe der Befestigungsleiste mit nach oben gehaltenen Händen gespielt.
In der Andenregion erfüllt die Harfe eine wichtige Funktion, sie wird als Begleitinstrument bei vielen religiösen Anlässen, z.B. Patronatsfesten aber auch bei Festen in den dörflichen Gemeinschaften, privaten oder rituellen Anlässen gespielt. Manche Tänze wie die "Danza de las Tijeras" im Gebiet von Ayacucho werden von einem Harfenduo begleitet. Ein solches Duo findet man auch im orquestin, einem typischen Ensemble in Cuzco. Neben den ein oder zwei Harfen finden sich darin 2 Mandolinen, 1 - 4 Geigen, zwei Quenas, manchmal ein Akkordeon und eine Reihe einfacher Perkussionsinstrumente. Typisch für Cuzco ist auch die Kombination von Violine, Mandoline oder Bandurria mit der Harfe.
In Venezuela und Teilen Kolumbiens ist sie zentrales Element der musica llanera, der Musik der Llanos, der weiten Ebenen des Orinoco. Hier begleitet sie zusammen mit cuatro, bandola llanera und requinto oder Gitarre die typischen joropo - Tänze. In Paraguay soll das Instrument von dem aus Tirol stammenden Missionar Joseph von Reinegg eingeführt worden sein, der Ende des 17. Jahrhunderts bereits Guarani-Indianer auf diesem Instrument unterrichtet haben soll. Die hier gespielte Harfe kommt der klassischen am nächsten, sie wird häufig zur Begleitung von Tänzen wie polca paraguaya oder galopa verwendet. Es hat sich im Laufe der Zeit aber ein reiches Repertoire herausgebildet mit zum Teil virtuosen Stücken, die das Instrument zum Nationalinstrument Paraguays werden ließen. [450][434]
Bandola
Die bandola, manchmal auch mandola genannt, findet sich in verschiedenen Ländern Südamerikas. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt in Venezuela und Kolumbien, jedoch lassen sich Formen dieses Instruments auch in Mexico, Chile und in den übrigen Andenstaaten nachweisen. Das Instrument geht auf europäischen Ursprung zurück, nach Form und Spielweise ist anzunehmen, dass die spanische laúd oder die bandurria Pate gestanden haben könnten. Je nach Region unterscheiden sich die verschiedenen Typen hauptsächlich in der Zahl der Saiten, der Anordnung in Chören, der Stimmung, der Form des Korpus und der Größe. Die bandola tradicional colombiana, die links abgebildet ist, bersitzt 14 oder 16 Saiten, die in 6 Chören angeordnet sind. Das Instrument der Sammlung, in Bogota gekauft, besitzt 16 Saiten, die folgendermaßen angeordnet sind: (von dem höchsten zum tiefsten Chor): 3 3 3 3 2 2 in der Stimmung: g´´g´´g´´ d´´d´´d´´ a´a´á e´e´é h h fis fis. Die Form des Korpus gleicht dem der heutigen Bandurria mit flachem Boden und relativ hohen Zargen (11 cm). Die Saiten sind ähnlich wie bei ihr unterständig an einem angeschraubten Saitenhalter befestigt und verlaufen über einen aufgeleimten Steg. Das Instrument wird mit einem Plektrum gespielt und findet hauptsächlich in kleinen Volksmusikensembles zusammen mit tiple columbiano und Gitarre Verwendung, die typische Volksmusikformen interpretieren wie z. B. die kolumbianischen torbellinos oder bambucos. Weitere Formen stellen die bandola bogotana ( 12 Saiten in sechs Doppelchören) und die beiden venezolanischen Formen bandola oriental (8 Saiten in 4 Doppelchören) und vor allem die bandola llanera mit 4 Einzelsaiten in der Stimmung e´´´ a´´ d´´ a´ dar. Letztere spielt eine große Rolle als Begleitinstrument in den joropos der musica llanera. Im nördlichen Chile wird die bandola aymara gespielt, die 12 oder 16 Saiten haben kann, die in vier Chören angeordnet sind. Wie bei vielen anderen Saiteninstrumenten gibt es Varianten mit anderen Mensuren. So werden das bandolon und das marimacho als tiefer klingende Versionen erwähnt, letzteres soll 12 oder 16 Saiten in 4 Chören, ähnlich wie die bandurria aufweisen. An anderer Stelle werden solche Instrumente aber auch als bandolon (große bandola) bezeichnet. Bei beiden Instrumenten der Sammlung ist eine Vierchörigkeit festzustellen (4 mal drei, bzw. 4 mal 4 Saiten) so dass es sich auch um tief gestimmte bandolas aymaras handeln könnte, die dieselbe Saitenzahl aufweisen. Ein Hinweis darauf ist auch der Resonanzkörper, der bei beiden aus Gürteltierpanzern besteht und der Herstellungsort, der sich im Innern auf einem Zettel befindet. [435]
Video Bandola llanera [454]
Video Bandolaorchester [455]
Video Bandolaensemble [456]
Video Bandola llanera [457]
Video Marimacho [458]
Bandolin und Bandurria cusquena
Im 16. Jahrhundert wurden die im damaligen Spanien und Portugal gebräuchlichen Saiteninstrumente von den Kolonisten als Bestandteile ihrer Kultur und Lebensstils auch nach Mittel- und Südamerika gebracht. Einige fanden überhaupt keine Akzeptanz, andere wurden fast unverändert assimiliert, wieder andere erfuhren aber im Laufe der Zeit unter dem Einfluß des neuen kulturellen Umfeldes und durch die einheimischen Instrumentenbauer und Interpreten eine weitgehende Anpassung. Es entstanden neue genuin amerikanische Instrumentenformen, deren genaue Herkunft sich kaum mehr feststellen lässt, wie z.B. bei dem links abgebildeten bandolin. Es könnte von dem portugiesischen bandolim abstammen, genau so gut aber auch von der Mandoline, die auch in Peru und Bolivien anzutreffen ist, der laud oder der bandurria, was nach den politischen Gegebenheiten eher wahrscheinlich ist. Auf jeden Fall wird das Instrument heute noch vor allem in Ecuador viel in der Volksmusik verwendet. Es wird einerseits als Soloinstrument benutzt, wobei es überwiegend mit einem Plektrum gespielt wird. Als Begleitinstrument in den zahlreichen traditionellen ländlichen Volksmusikgruppen findet es seine größte Verbreitung. Kaum ein lokales Fest, in dem es nicht zu hören ist, vor allem in den sanjuanitos und albazos wird es gespielt, allerdings mit den Fingern ähnlich dem Charango oder der Gitarre. Das bandolin hat aber auch Einzug gehalten in die estudiantinas, die Musik der Studentengruppen nach dem Vorbild Spaniens und in die Musik der kreolischen Gesellschaft in den Städten. Es besitzt einen flachen Boden wie die laúd und einen leicht nach unten gebogenen oberen Korpusrand. Neuere Modelle sind in ihrer Form eher an eine Gitarre mit Cutaway angepasst. Die 15 Saiten sind unterständig befestigt und laufen über einen aufgeleimten Steg mit 17 Bünden zu einem Wirbelkasten mit Mechanik. Die Saiten sind in fünf Chören zu jeweils drei zusammengefasst, wobei die beiden untersten Chöre oktaviert sind. Eine verbreitete Stimmung ist: ( von hoch zu tief) h´h´h´ f#´f#´f#´ d´d´d´ a´a a´ e´e e´, es gibt aber auch Varianten dazu. Bandolin 2 unterscheidet sich von dem Standardinstrument Bandolin 1 dadurch, dass es nur 13 Saiten besitzt, so dass die untersten beiden Chöre wahrscheinlich nur zweisaitig, aber ebenfalls oktaviert sind.
Wie der Name es ausdrückt basiert die bandurria cusquena auf der spanischen Bandurria des 16. Jahrhunderts. Diese besaß 4 doppelchörige Saiten, die bis zum 18. Jahrhundert im Mutterland auf sechs Saitenpaare, wie heute üblich, erweitert wurden. Die Bandurria in Südamerika nahm eine eigene Entwicklung indem man hier die Vierchörigkeit beibehielt, dafür aber die Saitenanzahl innerhalb der Chöre vermehrte. So findet man heute achtsaitige (4 x 2), zwölfsaitige (4x 3), sechzehnsaitige (4 x 4) und sogar zwanzigsaitige Bandurrias in und um die Stadt Cuzco als Namensgeber. Sie ist bei 16 Saiten meist wie folgt gestimmt: e´´e´´e´´e´´ h´h´h´h´ g´´g´g´´g´´ d´´d´d´´d´´(von hoch zu tief). Gebaut wird sie in verschiedenen Formen und Größen, die am meisten übliche Birnenform findet sich rechts abgebildet. Bei allen möglichen Anlässen auf dem altiplano wird sie sowohl als Solo- wie auch als Begleitinstrument eingesetzt, vor allem bei den huaynos und anderen lokalen traditionellen Musik- und Tanzformen. Während die spanische Bandurria ausschließlich mit dem Plektrum gespielt wird, lässt sich in Peru ein Zupfstil beobachten, bei dem die Saiten hauptsächlich mit dem Daumen und dem Zeigefinger zum Klingen gebracht werden, was einen völlig anderen Klangeindruck erzeugt. [434]
Video Bandolin [459]
Video Bandurria cuzquena [460]
Video Bandurria Cusquena [461]
Cuatro
Das cuatro venezolano, auch als cuatro tradicional, cuatro criollo oder cuatro llanero bezeichnet, ist das hervorstechendste Nationalinstrument in der Volksmusik Venezuelas, aber auch in den Llanos Kolumbiens wird es gleichermaßen gespielt. Wie viele andere ist es im 16. Jahrhundert von den Konquistadoren mitgebracht worden und lässt sich nach Adolfo Salazar, einem spanischen Forscher, auf die spanische Renaissancegitarre des 16. Jahrhunderts zurückführen, die ebenfalls vier Saiten hatte und überwiegend im rasgueado - Stil gespielt worden war. Dieses Instrument erscheint zuerst in der Stadt Coro und hat sich vermutlich über das Flußsystem des Orinoco ins Landesinnere verbreitet. Es soll dann von Einheimischen und Sklaven mit im Lande vorhandenen Materialien in rustikalen Formen nachgebaut worden sein, indem man Pflanzenfasern und Darmsaiten als Bespannung nutzte. Als übliche Stimmungen wurden a´d´´ fis´´ h´´ oder g´c´´e´´ a´´ in aufsteigender Reihe für diese alten Instrumente agegeben. Da das verwendete Saitenmaterial die Spannung der hohen h- Saite oft nicht halten konnte, wurde diese eine Oktave herabgesetzt, so dass die heute übliche Stimmung a´d´´fis´´h´ lautet. Die Saiten, heute aus Nylon, sind ähnlich wie bei der Gitarre an einem Querriegel befestigt, der auf der Decke aufgeleimt ist. Ein typisches Element dieses Instruments ist die traditionelle Ornamentierung von Griffbrett und dem oberen Teil der Decke bis zur Hälfte des Schalllochs mit geometrisch gemusterten Holzfurnieren. Überwiegend wird es zur Begleitung eingesetzt und die Saiten traditionell im rasgueado - Stil zusammen angeschlagen, allerdings hat sich im Verlaufe der letzten Jahrzehnte auch die solistische Spielweise stärker etabliert, bei der die rechte Hand komplexere Techniken mit einer Mischung aus punteado- (gezupfte Einzelnoten oder Intervalle für das Melodiespiel) und rasgueado- Techniken ausführt. Das Instrument ist in allen Genres der volkstümlichen venezolanischen Musik anzutreffen im vals, merengue, tonada, polca oder parranda, um nur einige zu nennen. Eine tragende Rolle hat es aber in der musica llanera (auch in Kolumbien) und hier vor allem im joropo. Es handelt sich dabei um einen Tanzstil aus den Llanos des Orinoco mit verschiedenen Teilen (valsiao, escobillao und zapatiao) mit jeweils eigenen Figuren und Schrittfolgen, mit je nach Region unterschiedlichen Ausprägungen. Begleitet wird der typische joropo traditionell mit der nylonbespannten arpa venezolana (oder alternativ der bandola llanera), sowie dem cuatro und maracas, wobei es in der Besetzung auch hier regionale Varianten gibt.
Das kolumbianische Pendant des cuatro llanero ist identisch in Form und Spielweise, das venezolanische Instrument kommt aber in mehreren Varianten vor. Rechts abgebildet ist ein cuatro ronroco (in Anlehnung an charango ronroco) mit einem rauheren Klang und ein cuatro armadillo mit ovalem Korpus. Daneben gibt noch das cuatro y medio (mit zusätzlicher) Resonanzsaite, das etwas größere cinco ( mit fünf Saiten in den Anden Venezuelas), das cinco y medio (mit Resonanzsaite), das noch größere seis (mit sechs Saiten) und das octavo mit acht Saiten in vier Doppelchören. [462] [463] [464]
Video Cuatro venezol. [465]
Video Cuatro venezol. [466]
Cuatro Puerto Rico
Entgegen älterer, volkstümlicher Annahmen, nachdem sich das cuatro puertoricano nach und nach aus einem viersaitigen zu einem zehnsaitigen Instrument gewandelt haben sollte, herrscht nach neueren Untersuchungen die Meinung vor, dass man zwei getrennte Entwicklungslinien für ein viersaitiges (cuatro antiguo) und ein zehnsaitiges (cuatro moderno) Instrument annehmen muss. Beide Instrumente unterscheiden sich wesentlich in Besaitung, Stimmung,Größe, Form, musikalischer Funktion und geographischem Vorkommen und es scheint schwer verständlich, dass beide denselben Namen tragen. Die Bezeichnung cuatro bezieht sich einmal auf ein viersaitiges Instrument im ländlichen Raum Puerto Ricos, das schon in der frühesten Epoche der Kolonialzeit bekannt war und allmählich im 20. Jahrhundert verschwand. Die gleiche Bezeichnung steht aber auch für ein zehnsaitiges Instrument, das in den Dörfern und Städten vor allem der Nordküste Ende des 19. Jahrhundert aufkam und bis heute gespielt wird. Beide Varianten waren also in einem bestimmten Zeitraum nebeneinander in Gebrauch, allerdings in anderen geographischen Zonen. Während die alte Form überwiegend in abgelegeneren Gebieten des Inselinneren und im Süden vorkam, war das Vorkommen der neuen Form zunächst auf den Norden der Insel beschränkt. Das cuatro antiguo war mit vier Darmsaiten in der Stimmung a e´a´d´´ bespannt, von denen nur die obersten drei Saiten gespielt wurden und die unterste als eine Art Bordun genutzt wurde. Das Instrument besaß die Form eines Schlüssellochs mit gerundetem Unterteil, konisch aufstrebenden Seiten und einem geraden Abschluss. Es war das typische Instrument der jibaros, der Dorfbewohner, die es in ihren oft abgeschiedenen Gegenden im Inneren und Süden bei allen möglichen religiösen und weltlichen Anlässen spielten. Nach und nach verbreitete sich der Gebrauch über die ganze Insel und fand im 19. Jahrhundert auch Eingang in die städtischen Salonorchester. Zur selben Zeit tauchte in den Städten an der Nordküste ein neuartiges Instrument auf, das anscheinend von den nordamerikanischen Mandolinen beeinflußt war, die damals international in Mode kamen. Ähnlich wie diese besaß dieses neue Instrument in Doppelchören gleichgestimmte Saiten, die im Quartabstand gestimmt waren und zwar einen Ganzton höher als die alte Form(von tief zu hoch) h e´a´d´´ g´´, wobei die beiden tiefsten Saiten oktaviert werden. Wahrscheinlich wurde diese Stimmung auf die bestehende "Schlüssellochform" übertragen, die sich in den Städten des Nordens dann in die heute bestehende violinartige Form wandelte. Manchmal wurde dieses neuartige Instrument als cuatro con diez cordas (Cuatro mit zehn Saiten) oder cuatro espagnol (spanisches Cuatro) bezeichnet, um es von der traditionellen Art zu unterscheiden. Dieses neue Cuatro verbreitete sich rasch über die ganze Insel, vor allem auch durch die Arbeit des Virtuosen Ladislao Martínez, der in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in dem neuen Medium Rundfunk zu hören war und viel für die Bekanntheit des Instruments beigetragen hat. Gleichzeitig verschwanden bis etwa zur Mitte des letzten Jahrhunderts die letzten Exemplare des cuatro antiguo. Neben dem zehnsaitigen Standardinstrument existiert heute noch das seis, eine Variante mit 6 Doppelsaiten und das cuatro sonero mit fünf Chören zu je drei Saiten. Auch wurde der Versuch unternommen, in Anlehnung an das Streichquartett, höher und tiefer gestimmte Instrumente zu schaffen: cuatro soprano, cuatro alto, cuatro tradicional (tenor) und cuatro bajo, eine Praxis, die sich aber nicht hat durchsetzen können. [467]
Video Cuatro Puerto Rico [468]
Video Cuatro Puerto Rico [469]
Requinto
Mit dem Begriff requinto wird eine in Südamerika häufig vorkommende Gruppe von Saiteninstrumenten bezeichnet, die meist in der Form und der verwendeten Stimmung der Gitarre ähneln,so gut wie immer aber eine geringere Größe besitzen. Je nach regionaler Herkunft gibt es aber Unterschiede.
In meiner Sammlung befindet sich das links abgebildete requinto colombiano, das ich 1988 in Bogota erstanden habe. Es ist eines der wenigen Instrumente der Gruppe dessen Form sich nicht von der Gitarre herleitet, sondern von der Violine. Es besitzt 12 Saiten, die an einem aufgeleimten Querriegel befestigt und in vier Chören zu je drei Saiten angeordnet sind. Früher verwendete man zehn Saiten in zwei Chören zu drei und zwei Chören zu zwei Saiten. Die heutigen Saiten aus Stahl sind wie folgt gestimmt: (von tief zu hoch) d´d´ g´g´ h´h´ e´´e´´, dies entspricht der Stimmlage der vier höchsten Saiten der Gitarre. Meistens wird das Instrument zusammen mit anderen in Ensembles gespielt, bei denen es die Melodieführung übernimmt. Als Partnerinstrumente kommen oft das tiple und die bandola tradicional zum Zuge. Man kann das requinto auch mit den Fingern spielen, üblicherweise wird aber ein Plektrum benutzt, mit dem man schneller ist und auch das Tremolospiel erleichtert wird. In früheren Zeiten war es einen Ganzton tiefer gestimmt, also c´ f´a´d´´. Man spielt damit typische traditionelle kolumbianische Rhythmen wie bambuco, guabina, pasillo oder torbellino. Neben der Violinform wird häufiger die gitarreähnliche Variante benutzt.
Das requinto mexicano besitzt 6 Saiten und hat die Form einer kleineren Gitarre; ihre Stimmung ist a´´ e´´ c´´g´ d´ a. Man gebraucht sie zur Interpretation von boleros, trovas yucatecas und sones istmenos. Das in Argentinien und in Paraguay verwendete Instrument ist mit dem mexikanischen identisch. Das requinto peruano gleicht dem kolumbianischen mit 12 Stahlsaiten, diese sind aber in 6 Doppelchören angeordnet: h´´h´´ f#´´f#´´ d´´d´´ a´a´ e´e´ h h. Das requinto venezolano besitzt ebenfalls zwölf Stahlsaiten und wird oft auch als guitarro bezeichnet. Man verwendet es hauptsächlich in der Volksmusik der venezolanischen Anden. Die Stimmung entspricht dem des kolumbianischen Pendants, allerdings wird die dritte Saite von jedem Chor eine Oktav tiefer gestimmt: e´´e´´e´ h´h´h g´g´g d´d´d [470]
Video Requinto [471]
Video Requinto Ensemble [472]
Tres cubano
Das tres ist das Nationalinstrument Kubas, es findet sich aber auch in der Volksmusik Puerto Ricos und auf anderen Karibikinseln. Es hat keine genau festgelegte Korpusform, man trifft noch ältere Instrumente in Tulpenform (Schlüssellochform) mit geradem oberen Korpusrand, verbreiteter sind Formen mit mehr oder weniger gerundeten Oberseiten, die als tres valenciano oder tres criollo bezeichnet werden. Üblich ist auch eine abgeschrägte Form mit einer Art Cutaway (tercerola) wie links nebenstehend abgebildet und die guitarra- tres, die den Korpus einer kleineren Gitarre aufweist. Fast alle besitzen drei Chöre mit zwei Saiten, Varianten mit drei Einfachchören oder drei Triplechören sind sehr selten. Dieses Merkmal hat dem Instrument auch seinen Namen gegeben (tres = drei). Nachdem man früher Entendarm benutzte werden heute nur noch Stahlsaiten verwendet, die man häufig aus Metallabfällen gewinnt. Üblicherweise werden mindestens ein Chor, meistens aber zwei oder alle drei oktaviert. Die Stimmung der Saiten kann sehr unterschiedlich sein, zwei übliche Stimmungen bei vollständiger Oktavierung sind: e´´´e´´ h´´h´ g´´g´ oder h´´h´ g´´g´ d´´d´. Je nach dem musikalischen Formen verschieden ( z.B. bolero, guaracha oder changui) werden auch Varianten wie a d f#, c# a e oder e a c angetroffen. Das Instrument wird selten mit den Fingern gezupft, üblich ist die Verwendung eines Plektrums aus einem geeigneten Kunststoff oder Schildpatt. Gespielt wird häufig im Stehen, wobei das Instrument mit einem Band um die Schulter vor der Brust fixiert wird; im Sitzen findet meist die bei der Gitarre übliche Haltung Anwendung.
Vor allem im conjunto (Ensemble), das den son cubano, die traditionelle Lied- und Tanzform der Insel begleitet, hat das tres eine tragende Funktion. Einmal besitzt es eine melodisch -improvisatorische Funktion, bei der ein hohes Maß an Virtuosität gefordert ist. Diese Technik wird als punteado bezeichnet. Andererseits übernimmt das tres auch im Wechsel eine rhythmisch - harmonische Aufgabe, indem in der rayado-Spielweise die Saiten zusammen in Akkorden als Begleitstimme angeschlagen werden. Dabei haben sich typische Begleitmuster (tumbao) herausgebildet, die von Region zu Region unterschiedlich sind und manchmal auch den unverwechselbaren Stil einzelner treseros ausmachen.
Sowohl die Korpusform als auch die Spielweise des tres lassen auf europäische Vorbilder schließen, andererseits deutet der rhythmische und klangfarbliche Aspekt auf afrikanische Wurzeln hin: synkopisch antizipierender Bass, Akzentverschiebungen und Schläge auf dem Resonanzkörper sind verbreitete Praxis im son cubano. Als europäischer Vorläufer kann möglicherweise ein dreisaitiges Instrument angesehen werden, welches in einem Fresko in der Kathedrale des Heiligen Franziskus in Assisi zu sehen ist. Untersuchungen im Osten Kubas haben das Vorkommen primitiv gebauter Instrumente im ausgehenden 19. Jahrhundert bestätigt, deren Korpus aus Kürbis, die Decke aus Palmholz und die Saiten aus Waldrattendarm gefertigt waren. In dieser Gegend Kubas lebten besonders viele Schwarze, die ihre Herkunft von den Bantu ableiteten. Vom Osten aus scheint sich das Instrument durch macheteros und Feldarbeiter der Zuckerrohr- und Tabakplantagen über die Insel verbreitet zu haben. Der Einfluß Schwarzafrikas drückt sich auch im Instrumentarium der conjuntos aus, die den son interpretierten. Neben dem tres finden sich die botija (Tontopf) und die marimbula (großes Lamellophon) als Bassinstrumente sowie bongo, maracas und guiro als Rhythmusinstrumente. Diese Musik war in der kreolischen Gesellschaft verpönt, teilweise sogar verboten, und wurde hauptsächlich in den Bordellen der Landarbeiter gespielt. Mit dem Aufkommen des Rundfunks und dem Auftreten einiger hervorragender Interpreten wie Arsenio Rodriguez wurde das Instrument und der Musikstil weitgehend gesellschaftsfähig und erlebte in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Blütezeit. Nach einer Phase des Niedergangs brachte der Film "Buena Vista Social Club" eine gewisse Neubelebung. [473]
Video Tres [474]
Video Tres [475]
Saiteninstrumente aus Mexico
Aus den reichen volksmusikalischen Traditionen Mexicos sticht vor allem die Musik der mariachi - Gruppen hervor, die heute im ganzen Land anztreffen sind. Entstanden ist dieser Musikstil im Westen des Landes mit Schwerpunkt in den Staaten Jalisco, Nayarit und Colima. Die Herkunft des Wortes ist unklar, es taucht zunächst als Bezeichnung für Haciendas auf später im Zusammenhang mit fandango- Tanzveranstaltungen. Manche vermuten es sei abgeleitet von der Bezeichnung für eine Bühne, auf denen Musikgruppen in dem Ort Techaluta aufgetreten sein sollen, andere glauben, es stamme von Texten und Liedern zu Ehren der Jungfrau Maria ab, die im Ort Cocula verehrt wurde. Eine oft geäußerte Vermutung bezieht sich auf die Herkunft des Wortes von dem französischen Wort mariage (= Hochzeit), weil die mariachis traditionell auf familiären Festen auftreten. Auf jeden Fall erscheinen zwei Mariachigruppen in Cocula mit einer ähnlichen Besetzung wie heute (zwei Violinen, Guitarron, Vihuela und Chirimia). Oft anzutreffen war auch die Zusammensetzung Harfe Violinen, Vihuela und Gitarre, wobei für Auftritte an ständig wechselnden Orten die Harfe als Bassinstrument von dem leichter zu transportierenden Guitarron ersetzt wurde. 1907 spielten Vertreter zweier Mariachigruppoen auf einem Fest, das Porfirio Diaz für einen nordamerikanischen Politiker gab. Am Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auch die traditionelle Kluft der charros mit breitkrempigen Hüten und silberbeschagener Kleidung durch die Gruppe von Cirilo Marmolejo eingeführt und von vielen anderen übernommen.
Nach Beendigung des Bürgerkriegs zogen um 1925 viele Mariachigruppen in die Hauptstadt und machten ihre Musik auch hier populär, allerdings zunächst als wenig geachtete Interpreten der Musik niedriger gesellschaftlicher Schichten. In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Trompete als letztes Melodieinstrument schließlich hinzugefügt. Heute setzt sich eine Gruppe meist aus 1 bis 2 Trompeten, 2 - 4 Geigen, Vihuela, Gitarre und Guitarron zusammen. Diese Gruppierungen sind fast zu einem nationalen Symbol der mexikanischen Volksmusik geworden [476] [486]
Die vihuela mexicana als Bestandteil des Instrumentariums der mariachis hat mit der spanischen Vihuela des 16. Jahrhunderts wenig Ähnlichkeit. Größere Gemeinsamkeiten ergeben sich aber mit dem timple canario: beide besitzen fünf Saiten und den typischen überwölbten Korpusboden, den man in Südamerika als pecho de gallo (Hühnerbrust) bezeichnet (siehe Bild oben). Seltener wird die vihuela mexicana wie das Instrument von den Kanaren gestimmt: g c e a d. Üblich sind vor allem zwei Varianten von Stimmungen, die sich an den fünf obersten Saiten der Gitarre orientieren. Bei der ersten Art werden die beiden tieferen Saiten a und d der Gitarre bei der Vihuela eine Oktave höher gesetzt: e´´ h´ g´ d´´ a´ Bei der zweiten werden die drei unteren Saiten oktaviert: e´´ h´ g´´ d´´ a´. Kennzeichnend für das Instrument sind auch der relativ kurze Hals und die geringe Anzahl von Bünden auf dem Griffbrett, während die Form von Korpus und Decke stark der Gitarre ähnelt. Die vihuela erfüllt als typisches Instrument der Mariachiformation fast ausschließlich eine Rolle als Begleitinstrument, welches die Basslinie mit synkopischen Akkorden unterstützt. Es soll zum ersten Mal in Cocula im Bundesstatt Jalisco im 19. Jahrhundert in Erscheinung getreten sein.
Etwa zur gleichen Zeit findet sich dort auch die Erwähnung des guitarron, welches in der Bauweise (pecho de gallo, siehe obiges Bild), kurzer Hals und wenige Bünde, identisch ist. Auch in der Verwendung als Instrument der mariachis findet sich eine Parallele, sowie die Anlehnung an die Stimmung und Saitenzahl der Gitarre. Das Instrument liegt eine Quinte tiefer als diese: a´e´c´ g d A. Eine typische Spielweise, die durch den bekannten Virtuosen Jose Velasco Olivares eingeführt worden war, besteht in der Verdoppelung von Tönen im Oktavabstand, wodurch eine größere Klangfülle erreicht werden soll. Gespielt wird das guitarron meist im Stehen, indem es mit einem Tragegurt um die Schulter gehalten wird. Wie schon gesagt bildet das guitarron das Bassfundament in jeder Mariachiformation, es hat aber darüber hinaus auch in anderen Volksmusikstilen Mexicos und anderen Ländern des Kontinents Fuß gefasst.
Die jarana jarocha ist eines der typischen Instrumente des conjunto jarocho in den Staaten Vera Cruz, Oaxaca und Tabasco im Osten Mexicos. Diese Ensembles bestehen oft aus einer diatonischen arpa jarocha mit 32 bis 36 Saiten, einer oder zwei jaranas (oder einer jarana und einem viersaitigen requinto jarocho als Melodieträger) und einem Bassinstrument, meist einer leona ( Art viersaitige, tief gestimmte Gitarre) oder einem guitarron. Dazu gesellen sich manchmal Rhythmusinstrumente wie die quijada (Eselskiefer), das cajun (Perkussionsinstrument in Form einer Kiste) oder die pandereta (Schellenhandtrommel) Manche Gruppen werden aber auch ausschließlich aus verschieden gestimmten jarana- Instrumenten gebildet. Sie interpretieren einen Musikstil, der als son jarocho bezeichnet wird und eine Lied- und Tanzform mit einer Mischung von einheimischen, spanischen und afrikanischen Elementen darstellt. Höhepunkt stellt die fiesta de fandango dar, die sich aus musikalischen Darbietungen, Tanz (zapateado) und poetischen Passagen (versos) zusammensetzt. Die Aufgabe der jaranas in den meisten Ensembles ist der Part der akkordischen Begleitung mit synkopischen Schlägen über alle Saiten. Jaranas gibt es in verschiedenen Größen und Stimmungen. Die kleinste Art wird als chaquiste bezeichnet und ist nur 30 - 40 cm groß, die nächst größere mosquito besitzt 8 Saiten in fünf Chören (d Gg hh ee c). Es folgt die jaranita mit fünf einfachen Saiten (a f# d g h) und die am häufigsten verwendete jarocha (auch als jarana tercera bezeichnet) die 8, 10 oder 12 Saiten in fünf Chören besitzt (ee hh Gg dd a) und die oben abgebildet ist. Diese ist wie folgt gestimmt: g´´ e´´e´´ a´a´ c´c´ g . Die größte Form ist die mariachera mit fünf einfachen Saiten (d a e c g) Früher wurde der Resonator der Instrumente oft aus einem Stück Rotzeder oder anderem einheimischem Holz gefertigt, heute überwiegt die Gitarrenbauweise. [477] [478]
Cavaquinho
Das cavaquinho Brasiliens spielt in der samba und im choro eine wichtige Rolle. Bei dem Instrument handelt es sich um ein gezupftes Saiteninstrument, das in seiner Korpusform Ähnlichkeit mit der Gitarre besitzt, allerdings ist die europäische Form etwas "schlanker", die brasilianische etwas breiter, gedrungener. Aus Portugal, wo es auch heute noch weit verbreitet ist, wurde es von den Konquistadoren nach Südamerika gebracht Es ist wesentlich kleiner als die Gitarre und besitzt vier Saiten, früher aus Darm, heute fast ausschließlich aus Stahl. Sie sind an einem Querriegel befestigt, der auf einer meist unlackierten Decke sitzt und verlaufen über ein Griffbrett mit 17 bis 19 Bünden, während das europäische Pendant 12 aufweist. Die Stimmungen sind in Europa und Amerika nicht identisch, in der Literatur werden d´´ h´ g´ d´ oder e´´ h´ g´ d´ (wie die obersten Saiten der Gitarre) genannt.
In verschiedenen Ensembles, die die samba begleiten, findet sich das cavaquinho als Bindeglied zwischen der Rhythmusgruppe aus bombo und/oder pandeira und dem violao (Gitarre) als Harmonieinstrument, oft in der siebensaitigen Form. Solche oder ähnliche Gruppierungen finden sich zum Beispiel in der samba commun oder in der pagode genannten Unterart.
Der choro, der erste autochthone populäre brasilianische Volksmusikstil, erscheint um 1870 in Rio de Janeiro. Damit gemeint war ursprünglich nicht ein eigenes Genre, sondern die Bezeichnung für Ensembles, die die europäischen Modetänze der Zeit wie Mazurka, Walzer, Polka oder Quadrille auf eigene, "brasilianische" Art interpretierten. Die Herkunft des Begriffs choro ist umstritten, manche glauben, er käme von einem Tanz der schwarzen Sklaven, den sie xolo oder xoro bzw. choro nanten, andere meinen, das Wort stamme von dem Wort chorar (= weinen) ab, als Ausdruck für den damals oft melancholischen Habitus des Genres. Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass es sich um die Verkürzung des Begriffs choromeleiros handelt, mit denen man zunächst die charamela (Schalmei) spielenden Gruppen des kolonialen Brasiliens bezeichnete. Dieser Begriff wurde dann nach und nach auch auf andere Gruppierung mit anderen Instrumenten übertragen und auf die beiden Anfangssilben reduziert.
Die entstehende choro - Musik der Anfangszeit war geprägt durch eine emotional ausgerichtete Interpretationsweise. Die typische Besetzung bestand zunächst aus zwei Gitarren und einem cavaquinho sowie einer Flöte als Melodieinstrument. Der Flötist Joaquim Calado leitete ein solches Ensemble und gilt als einer der Väter des choro. Ende des 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert wurden andere Melodieinstrumente eingeführt wie die Klarinette, die Ophikleide und vor allem die Mandoline, die in dem Virtuosen Jaco de bandolim ihren bedeutendsten Vertreter hatte. Nach und nach wurden auch perkussive Instrumente wie pandeiro, ganza und reco -reco in die Gruppen aufgenommen. Viele namhafte Komponisten schrieben eigens für die choro - Musiker und in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts hatte sich der choro als eigenständiger, brasilianischer Musikstil etabliert. Er zeichnet sich durch einen bewegten und fröhlichen Rhythmus aus sowie durch die Virtuosität und die Improvisationskunst der Interpreten, von denen die vollkommene Beherrschung ihrer Instrumente verlangt wird [482] [432]
Wakrapuku
Das wakrapuku ist eine Naturtrompete ohne Ventile und Grifflöcher, die ausschließlich in Peru vorkommt. Es ist ein charakteristisches Instrument in den zentralen und südlichen Anden in den departamentos von Apurimac und Huancavelica, der Sierra der Verwaltungsbezirke von Arequipa, Ayacucho, Junin und Pasco, sowie in Teilen der Verwaltungsbezirke Lima und Cusco. Auf Grund der großen regionalen Verbreitung finden sich auch andere Bezeichnungen in Quechua wie waka waqra, waqla, wagra corneta, wakra montoy, waray condor oder santiago. Auf Grund seiner Einzigartigkeit in der peruanischen Kultur wurde das Instrument 2013 offiziell zum kulturellen Erbe der Nation deklariert. [797] Es setzt sich aus einer Anzahl von Rinderhörnern zusammen, die mit Hilfe von Ledermanschetten mehr oder minder ringförmig zusammengefügt werden. Aus dem ersten Horn wird dabei ein becherförmiges Mundstück herausgeschnitzt, während das letzte Horn als Stürze fungiert. Es scheint sich um ein sehr altes Instrument zu handeln, weil es hauptsächlich bei rituellen Handlungen Verwendung findet. Eine dieser Gelegenheiten ist die jährlich stattfindende Viehscheidung und Markierung. Das wakrapuku eröffnet jeden Akt dieser Zeremonie, die mit einem rituellen Opfer an die Erde (pachamama) und die Berge beginnt, mit der eigentlichen Markierung der Tiere weitergeführt wird und in einem Schlussteil endet. Oft wird das Horn dabei von einer tinya begleitet, einer Trommel aus einem ausgehöhlten Baumstamm, dessen beide Enden mit Fell bespannt sind. In einigen Gegenden, wie in Junin, wird es in einem Trio mit tinya und Geige gespielt, während in Chumbilvicas ein Duo aus zwei Hörnern üblich ist; diese Form wird als chaski bezeichnet. Man glaubt, dass mit diesen tiefen und feierlichen Tönen des Instruments eine Beziehung zwischen den Göttern der Erde, den Tieren und den beteiligten Menschen hergestellt werden kann. Andere Anlässe für die Verwendung das wakrapuku sind die Stierkämpfe, die verschiedene religiöse und weltliche wichtige Festlichkeiten im lokalen Jahresablauf begleiten. In der Region Chumbivilcas beispielsweise spielt man das Horn bei der fiesta de la Virgen de la Natividad, bei der fiesta de la Virgen del Rosario, der fiesta de la Immaculada Conception, bei den örtlichen Patronatsfesten und dem Gründungstag des Distrikts.[487]
Das Wakrapuku 1 in der linken Abbildung besteht aus 16 miteinander verbundenen Rinderhörnern, während das oben abgebildete Wakrapuku 2 aus 7 Hörnern zusammengesetzt ist. Das rechts abgebildete corneta de cuerno (= Horntrompete, nach Aussage des Verkäufers) wird aus zwei Teilen gebildet, wobei es sich wohl nicht um Kuhhörner sondern um Hörner vom Widder oder ähnlichem handeln dürfte. Es ist auch nicht endgeblasen wie die wakrapukus, sondern hat eine seitliche Anblasöffnung. Über die Verwendung konnte ich keine Informationen finden, vermutlich dient es ähnlichen Zwecken wie die beiden anderen Instrumente oder es könnte als Signalhorn bei der Jagd gebräuchlich sein.
Perkussionsinstrumente
In der Volksmusik Lateinamerikas besitzen Perkussionsinstrumente in den allermeisten Musikstilen eine wichtige Funktion. Dies trifft vor allem auf die Formen zu, die einen Bezug zur afrikanischen Musiktradition haben wie z.B. die samba Brasiliens, die ohne Perkussionsinstrumente nicht denkbar ist. Aber auch in vielen anderen musikalischen Formen bilden sie das rhythmische Fundament auf dem sich das melodisch - harmonische Gerüst aufbaut. Neben dem Rhythmus steuern sie auch klangfarbliche Aspekte bei und bereichern damit das Klangbild. In Lateinameika werden oft musikfremde Gegenstände wie Flaschen, Trillerpfeifen oder Haushaltsgegenstände wie Töpfe oder Pfannen in die Musik als perkussive Elemente einbezogen. Daneben gibt es eine breite Vielfalt an Trommeln und einem Instrumentarium mit nicht festgelegter Tonhöhe, die den typischen Sound einer Musikrichtung bestimmen können, wie z.B. die cuica (Reibetrommel), claves (Klanghölzer), Holzblock oder guiro (Schraper).
Das Crac-Crac (lautmalerisch) besteht aus einer Reihe von Holzplättchen, die an einem Ende mit einer Schnur miteinander verbunden sind und dessen beiden Endplatten mit je einem Griff versehen sind. Nähert man die Griffe schlagen die Holzplatten gegeneinander. Das shekere (hier die kleinere Form axatse) besteht aus einer hohlen, getrockneten Kalebasse, die mit einem Netz überzogen ist, das mit Muscheln, Glaskkugeln, Plastikteilchen usw. besetzt ist. Beim Schüttel oder Drehen schlagen diese auf den innen liegenden Resonanzkörper. Der shaker (Schüttelrohr) ist hier ebenfalls eine hohle Kalebasse; sie ist innen mit kleinen Steinchen, Metallkügelchen oder Samenkörnern gefüllt, die beim Schütteln gegen die Innenwände der Kürbisschale schlagen. Oft werden als Behältnis hohle Holzkugeln mit Griffen verwendet, die in gleicher Weise befüllt sind, und fast immer paarweise, oft in verschiedener Größe, gespielt werden. Man bezeichnet diese dann als maracas. Die quijada besteht aus dem Unterkiefer eines Esels.Sie dient als Rassel, wenn sie z. B. mit der Faust angeschlagen wird und die losen Zähne zu vibrieren beginnen. Fährt man über die Zahnreihen mit einem Holzstäbchen, erzeugt man denselben Schrapeffekt wie wenn man über ein guiro streicht.