Abgeschlossene Projekte
Joseph Haydns Bearbeitungen von Arien anderer Komponisten
Die Musikwissenschaft fühlt sich bis heute der Vorstellung vom abgeschlossenen, durch seinen Schöpfer letztgültig autorisierten Kunstwerk verpflichtet. Der Oper des 18. und 19. Jahrhunderts ist ein solcher emphatischer Werkbegriff jedoch nicht angemessen. Sie ist ein ,offenes' Werk, das von Aufführung zu Aufführung Veränderungen unterworfen wird - die eher ausnahmsweise vom Komponisten bzw. Librettisten selbst stammen oder autorisiert sind.
Wie solche Veränderungen aussehen können, wenn sie von einem der schöpferischsten Komponisten seiner Zeit herrühren, zeigt Joseph Haydns Arbeit als Leiter des fürstlich Esterházyschen Opernbetriebs. Zwischen 1773 und 1790 führte er etwa 140 Opern auf. Nur sechs davon stammten von ihm selbst, bei den anderen handelte es sich meist um italienische Werke, die er den lokalen Bedingungen und seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen anpasste.
Seine Eingriffe reichen von Kürzungen und Transpositionen über die Ergänzung von Bläserstimmen bis hin zur Neukomposition von Abschnitten oder ganzen Arien. Da ein großer Teil des originalen Aufführungsmaterials erhalten ist, besteht die für die Operngeschichte des 18. Jahrhunderts einmalige Chance, die änderungen bis in Details zu rekonstruieren.
Unser Projekt wird sich Haydns - von der Forschung bislang kaum gewürdigten - Bearbeitungen fremder Arien widmen. Auf Basis einer umfassenden Bestandsaufnahme und exakten Abgrenzung des Materialbestandes sollen die Bearbeitungsprozesse dargestellt und soll nach ihren Motiven und (musikalischen wie dramaturgischen) Auswirkungen gefragt werden.
Leitung
Prof. Dr. Ulrich Konrad
Dr. Armin Raab (Wissenschaftlicher Leiter des Joseph Haydn-Instituts Köln)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Dr. des. Christine Siegert
Studentische Hilfskraft
Carolin Krahn
Analytisch-bibliographisches Quellenrepertorium der deutschen instrumentalen Ensemblemusik (ca. 1630 bis 1700)
(bis 2002)
Das Forschungsprojekt strebt eine systematische und möglichst vollständige Erfassung und Erschließung des reichen Quellenmaterials zur deutschen instrumentalen Ensemblemusik des 17. Jahrhunderts an.
In Italien hatte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein eigenständiger Instrumentalmusikstil herausgebildet, dessen wichtigste Form die "Sonata" bildete, die ab ca. 1630 durch italienische Musiker Einzug an deutschen Höfen hielt. Anhand von Inventaren und noch erhaltenen Sammlungen läßt sich erkennen, daß sich die instrumentale Ensemblemusik im 17. Jahrhundert rasch über Deutschland hinaus bis nach Schweden und sogar England verbreitete. Mit Hilfe einer Datenbank werden im Rahmen des Projekts Daten zu den Quellen der deutschen instrumentalen Ensemblemusik der großen Handschriftensammlungen in Kremsier, Uppsala, Paris, Kassel, Wien u.a. sowie relevanter Drucke aufgenommen. Mit Hilfe kodierter Incipits können Konkordanzen festgestellt werden. Die erhobenen Daten werden in einer Publikation der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Auf Basis des Quellenrepetoriums werden sich Untersuchungen zur Verbreitung von und Handel mit Musikalien im 17. Jahrhundert, zur Rezeption des italienischen Instrumentalstils sowie zur stilistischen Entwicklung der deutschen Ensemblemusik anschließen.
Hinweise auf unerschlossende Quellenbestände sowie auf laufende Forschungen zum Thema werden dankbar entgegengenommen. Außerdem sind die Mitarbeiter zu einem regen Austausch mit in- und ausländischen Studenten und Kollegen bereit.
Leitung
Dr. Peter Wollny [E-Mail] (Leipzig, Bach-Archiv)
Wissenschaftliche Mitarbeiter
Michael Fuerst M.A.[E-Mail]
Studentische Hilfskräfte
Christoph Beck M.A.
Juliane Masius
Juliane Peetz M.A.
Sabrina Schosser M.A.
Der Kompositionstraktat "Gradus ad Parnassum" (1725) von Johann Joseph Fux im europäischen Kontext. Studien zu seiner Rezeption anhand der gedruckten Übersetzungen
(bis 2003)
Das Forschungsvorhaben besteht in einer vergleichenden Untersuchung der vier gedruckten Übersetzungen des Kontrapunkttraktats "Gradus ad Parnassum" von Johann Joseph Fux aus dem Lateinischen ins Deutsche, Italienische, Englische und Französische. Sein Ziel ist es, die spezifische Funktion der Rezeptionsform Übersetzung innerhalb der Gesamtrezeption des Textes zu bestimmen und damit zugleich ein Modell für die wissenschaftliche Untersuchung spezialisierter Übersetzertätigkeit im 18. Jahrhundert zu präsentieren. Insofern versteht sich das Vorhaben als Beitrag zur historisch-semantischen Erforschung des europäischen interkulturellen Wissenstransfers im 18. Jahrhundert. Diese Zielsetzung erfordert eine Zusammenführung rezeptions- und begriffsgeschichtlicher, übersetzungs- und medientheoretischer Ansätze, die eine möglichst umfassende historische Bestimmung von Funktion und Operativität der Übersetzung am Paradigma einer musiktheoretischen Teildisziplin leisten sollen. (OW)
Siehe Pressebericht (2000) des Informationsdienstes Wissenschaft (idw)
Abschlußbericht zum Förderzeitraum (Auszug).
Leitung
Prof. Dr. Ulrich Konrad
Mitarbeiter
Oliver Wiener M.A.
Studentische Hilfskräfte
Astrid Brauer M.A., Jobst Braun, Markus Neuwirth, Katharina Teschers M.A.
Kontakt: oliver.wiener@mail.uni-wuerzburg.de
Schreiben und Komponieren in den Werken des 'mittleren' Beethoven.
(bis 2003)
Kein Komponist inspirierte so früh und so häufig Bemühungen um die Definition seines Schaffensprozesses als Ludwig van Beethoven. In aller Regel zielten diese Bemühungen auf die Beschreibung einer organischen Entstehung, die als prozeßhaftes Korrelat dem Werk in seiner emphatischen und vollkommenen Form zur Seite gestellt wurde. Die erstaunliche Zahl von Entstehungszeugnissen, die sich im Falle Beethovens erhalten haben, führte zu seiner landläufigen Charakterisierung als 'Papierarbeiter'; einem anderen großen Meister, nämlich dem 'Kopfarbeiter' Mozart, wurde die Position am entgegengesetzten Ende der Skala zugeordnet. Diese Dichotomie, die die Arbeitsweise als charakteristisches Merkmal in den Mittelpunkt stellt, beruht jedoch zum einen auf dem Missverstehen des Entstehungsprozesses als reines 'zu-Papier-Bringen' bereits vorgefertigter musikalischer 'Gedanken', zum anderen darauf, daß allzu lange die erhaltenen Skizzen Mozarts von der Forschung nicht zur Kenntnis genommen wurden. Die jüngst vorgenommene, systematische Erforschung der Skizzen Mozarts, die erneuten Bemühungen um eine Erhellung der kodikologischen Verhältnisse bei Beethovens Skizzenmaterial und die Abkehr von einer ausschließlich auf das Endprodukt zielenden Betrachtung von Arbeitsmaterialien, die in der Editorik, in der Manuskript-Forschung und in der Musikwissenschaft gefordert und erfolgreich umgesetzt worden ist, zwingen zu einer Revision. Zwar hat sich die Forschung schon sehr früh mit den Arbeitsmaterialien Beethovens beschäftigt, eine Systematisierung dieser Zeugnisse zur Definition von spezifischen und pragmatischen Schreibstrategien wurde jedoch nicht in Angriff genommen, da der Skopus der Betrachtung immer das Werk blieb.
Mein Ansatz besteht darin, die Textgenese bei Beethoven als einen komplexen Prozess zu begreifen, dem einfache Modelle wie 'ideales Wachstum', oder 'organischer Reifungsprozess' nicht gerecht werden. Nur durch genaue Beobachtung und Analyse des konkreten Schreibprozesses können die Genese rekonstruiert und Erkenntnisse zur Arbeitsweise gewonnen werden. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß das Skizzenmaterial oder die Spuren von Kompositionsarbeit in den Autographen und durchgesehenen Drucken lediglich einen Teil des Entstehungsprozesses dokumentieren. Zwar sind sie die einzigen materiellen Quellen, sie protokollieren jedoch den Prozess der Komposition weder lückenlos noch linear. Die in ihnen manifeste Irrationalität und Sprunghaftigkeit widerspricht der Vorstellung eines organischen Prozesses und somit in gewisser Weise eines Werkes, das aus einem Guss entstand. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht zum einen die prinzipielle Trennung von Schaffensprozess und Werk und eine neue Bewertung des Schreibens nicht nur als Akt der Niederschrift sondern als konstitutiver Bestandteil des Prozesses, der ihm seine eigenen Gesetzmäßigkeiten aufoktroyiert, Widerstände verursacht aber gleichermaßen auch Möglichkeiten freilegt. Anhand einer Beschreibung der Entstehung zweier zentraler Werke, der Symphonien Nr. 5 und 6, soll eine genauere Kenntnis der Arbeitsweise Beethovens erreicht werden. Diese Zugangsweise eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis von Beethovens Schaffensprozess, die sich auf die Beethovenphilologie fruchtbar ausweiten lassen, aber auch das Bild des Autors selbst neu definieren können. Hand in Hand mit diesem Projekt entsteht eine neue Edition beider Werke , die in der Neuen Beethoven Gesamtausgabe erscheinen soll.
Mitarbeiterin
"Komponieren" in Deutschland während der 1930er und 1940er Jahre, dargestellt am Werk Winfried Zilligs
Das Forschungsprojekt „«Komponieren» in Deutschland während der 1930er und 1940er Jahre, dargestellt am Werk Winfried Zilligs“ ging von der Intention aus, das zeitgeschichtlich und biographisch bereits sehr deutliche Bild des Verhältnisses von Macht und Musik in der Zeit des Nationalsozialismus‘ um eine bislang wenig beachtete Perspektive zu erweitern, die Untersuchung der musikalischen Zeugnisse selbst. Ziel war es, einen historiographischen Beitrag zur bislang kaum oder unzureichend geschriebenen Kompositionsgeschichte dieses Zeitraums zu leisten.
Die Untersuchungen gingen von einem Referenzfall, dem Komponisten Winfried Zillig (1905-1963) aus, dessen Eignung als exemplarischer Forschungsgegenstand sich im Projektverlauf bestätigte. Es konnte gezeigt werden, dass parallel zur Kontinuität der beruflichen Laufbahn sich auch die Schaffensbiographie quantitativ ungebrochen fortsetzte. Erst auf Basis umfangreicher, aufwändig zu erschließender Quellenbestände wurden aber Analysen möglich, die hinter dieser Fassade liegende, tiefgreifende Brüche im Komponieren offenlegten. Der Nachweis, dass die kompositorische Faktur der Zeiträume vor 1933, 1933 bis 1945 und nach 1945 stets vom individuellen, artifiziell zeitgemäßen, analytisch bestimmbaren Kern eines kompositorischen Idioms einerseits und von situationsabhängigen Modifikationen andererseits geprägt war, stellte einen entscheidenden Schritt für den Entwurf eines differenzierenden Bildes dar. Die Kompositionen konnten pauschalen Diskreditierungen, die mit dem zeitgeschichtlichen Entstehungskontext verbundenen waren, entzogen und so für einen Erkenntnisgewinn geöffnet werden – dass dies nicht mit einer exkulpatorischen Entkontextualisierung zu verwechseln ist, sei hier ein weiteres Mal hervorgehoben. Differenzierbare außermusikalische Einflüsse wirkten auf den Komponisten ein, indem ein in Quellen belegtes Gefühl der Bedrohung geschaffen wurde, dem mit vorauseilendem Gehorsam und Vermeidung vermeintlicher Provokationen in der Musik begegnet wurde. Dahinter aber stand ein vielschichtiger kompositorischer Anpassungsprozess, zu dessen äußerlichen Ausprägungen das Ausweichen in funktionale Bereiche der Musik – etwa Film-, Schauspiel- und Festmusiken – und durch Funktionalisierung veränderte Formen scheinbar traditioneller Gattungen gehörte. Die detaillierten Analysen konnten aber darüber hinaus zeigen, dass in öffentlichen und nicht-öffentlichen Werken zeitgleich, aber in sehr unterschiedlicher Art und teils in „verdeckter Schreibweise“ kompositorische Verfahren (etwa modifizierte Dodekaphonie) anwendbar blieben, die von der NS-Ideologie abgelehnt wurden, wenn dies durch geeignete kompositionstechnische und stilistische Anpassungen kaschiert war. Im Spannungsverhältnis zwischen kompositorischer Individualität und systemkonformer Modifikation wurden die musikalischen Analysen so lesbar als Psychogramm eines ursprünglich künstlerisch freien Menschen, seiner Unterordnung und Anpassung an die Bedingungen der Diktatur und – auch dies war Gegenstand der Untersuchungen – nur partiell gelingenden Restitution nach deren Zusammenbruch.
In der Ausweitung des Forschungsansatzes auf eine überschaubare, aber aussagekräftige Anzahl von Komponisten erwiesen sich grundsätzliche Erkenntnisse und Methoden als übertragbar und zielführend. Zugleich wurde deutlich, dass gerade auch die Minderheit anders gelagerter Schaffensbiographien vor dem Hintergrund der neuen Perspektive besser verstanden werden kann. Hier wird freilich weitere, teils bereits in Angriff genommene Forschungsarbeit zu leisten sein.
Leitung
Wissenschaftliche Mitarbeiter
Katharina Teschers-Wanek M.A.
Wissenschaftliche Hilfskräfte
Caroline Krahn, Eva Naser, Johanna Petzold, Annika Preißer
Texte
Christian Lemmerich, Winfried Zillig: Anpassung und Engagement. Aspekte eines widersprüchlichen Lebensweges, in: Heinz-Klaus Metzger u. Rainer Riehn (Hgg.), Arnold Schönbergs „Berliner Schule“ (= Musik-Konzepte, Bd. 117/118), München 2002, S. 152-163
Christian Lemmerich, Schönberg sah in ihm „etwas Ungewöhnliches“. Die Werke Winfried Zilligs (1905-1963), an dessen 100. Geburtstag 2005 erinnert wird, harren der Wiederentdeckung, in: takte. Informationen für Bühne und Orchester 2/2003, Kassel 2003, S. 10-11
Christian Lemmerich, Identität und Wandelbarkeit des musikalischen Idioms. Zur Wechselwirkung artifiziellen und gebrauchsmusikalischen Komponierens bei Winfried Zillig, in: Detlef Altenburg u. Rainer Bayreuther (Hgg.), Musik und kulturelle Identität. Bericht über den internationalen Kongress der GfM in Weimar 2004, Kassel u. a. [vorauss. 2011; in Vorbereitung]
Der Komponist mit dem Januskopf. Musikalisches Schaffen unterm Hakenkreuz - das Beispiel Winfried Zillig, in: forschung. Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft 3/2008, S. 10-13; english: The Janus-faced Composer. Creating music in the Third Reich: The example of Winfried Zillig, in: german research. Magazine of the Deutsche Forschungsgemeinschaft 1/2009, p. 14-17
Christian Lemmerich, Winfried Zillig. Komponist unter wechselnden Vorzeichen (= Würzburger Musikhistorische Beiträge, Bd. 29), Tutzing [2011; in Vorbereitung] (= Dissertation Universität Würzburg 2010)